Zirkus und Tierschutz?
Ilona Kienle-Hertel
Viele Menschen, vor allem Kinder, sind begeistert vom "Zauber der Manege". Im Sommer war ein Zirkus - und mit ihm hundert Tiere - auch in Deggendorf. Die Attraktion, wie die lokalen Medien berichteten, waren zweifellos die Tiger. Natürlich wurde der Zirkus vom Veterinäramt überprüft, und es hatte auch "nichts auszusetzen". Was immer das heißen mag, mich macht der Anblick unserer größten und wohl schönsten Raubkatze der Welt hinter Stäben, eingepfercht in einem Waggon, traurig und wütend zugleich. Was ist von der Kraft des Tigers, seiner Macht, seiner Würde, seinem Mythos übriggeblieben?
Vor der Jahrtausendwende gab es noch Tiger von Wladiwostok bis zum Schwarzen Meer, insgesamt um die 100.000. Zur Kolonialzeit zum Abschuss freigegeben, stand er kurz vor der Ausrottung. Heute leben die letzten seiner Art, etwa 5.000, in Naturschutzgebieten - der Tiger steht auf der "Roten Liste". Und dennoch: Der Bau von Straßen und Eisenbahnlinien zerstört seine Wälder, die Bauern fürchten um ihr Vieh, die Landlosen beanspruchen sein Territorium, und Wilderer stellen ihm nach. Wegen seines Fells, seiner Knochen, seiner Eingeweide.
Über 1.200 Tiger leben heute in Zoos, teilweise unter extremen Bedingungen. Glücklicherweise haben einige Zoos das Leid der Tiere erkannt, und sie werden wenigstens von Einzelhaft und Käfighaltung befreit. Vorbildlich und leider eine Ausnahme ist hier der Bronx-Zoo in New York, wo für Tiger ein Teil ihrer natürlichen Umgebung geschaffen wurde. Natürlich bedeutet selbst der beste Zoo der Welt Gefangenschaft, doch ironischerweise kommt den Zootieren zur Arterhaltung eine besondere Rolle zu. Eine weitere Station auf dem Leidensweg des Tigers ist der Zirkus. Dort fristet er bis zum heutigen Tage ein elendes Dasein. Schon durch die häufigen Fahrten verbringt er den meisten Teil seines Lebens nicht nur unter katastrophalen Transportbedingungen. Der enge Käfigwagen, in dem er sich kaum bewegen kann und dem selbst minimale Voraussetzungen einer artgerechten Haltung fehlen, wird zur ständigen Unterkunft.
Die Dressur hat mit den natürlichen Fähigkeiten des Tigers nichts gemein. Brutal wird sein Wille mit Peitschen, Ketten und anderen Requisiten gebrochen, um ihn dann zu unsinnigen Darbietungen zu zwingen. Der legendäre Sprung durch den Feuerreifen mag den Menschen ja beeindrucken, die Natur des Tigers unterdrückt er auf eine widerwärtige Art und Weise. Ich denke, man beraubt ihn damit seiner letzten Würde als Lebewesen. Zirkus bedeutet immer Tierquälerei und macht aus Tigern physische und psychische Krüppel.
Und was passiert im Winter? Die wenigsten Zirkusbetriebe haben ein festes Winterquartier, leere Fabrikhallen sind deshalb keine Seltenheit. Was passiert außerdem, wenn ein Tiger alt ist und man keine "Verwendung" mehr für ihn hat? Zirkusse sind keine fahrenden Tierheime, auf die eine oder andere Art und Weise entledigt man sich eben des Tieres - und wenn es letztendlich erschossen wird. Natürlich mit gesetzlicher Genehmigung ...
Verantwortung für die Tiere ist leider oft ein Fremdwort. So werden nicht selten bei Zirkussen halb verhungerte und zerschundene Tiere aufgegriffen und die Betreiber der Tierquälerei angeklagt.
Dem Bericht der Zeitung nach sollen viele Menschen im Zirkus gewesen sein. Ich war nicht darunter. Denn die Zeiten, als mich als Kind Tigerdressuren faszinierten, sind glücklicherweise lange vorbei. Ich wünsche mir deshalb, dass es bald mehr Zirkusse gibt, deren Erfolgsrezept es ist, auf Tierdressuren zu verzichten. Doch es ist noch ein sehr langer Weg, bis weder ein Tiger, noch ein anderes Tier im Zirkus mehr zu leiden hat. Das Wichtigste ist, den Kindern den Tierschutzgedanken nahezubringen, damit sie begreifen, daß ein Zirkus ohne die großen Raubkatzen, aber auch ohne Elefanten, Schimpansen oder Bären ebenso unterhaltsam sein kann.
Ilona Kienle-Hertel
(Mit freundlicher Genehmigung aus "IGT informiert", Heft 4)