Editorial

Adok/Hugi



Manchmal, wenn ich nicht gerade E-Mails zu beantworten oder Artikel zu formatieren habe, denke ich mir: "Für die nächste Hugi-Ausgabe habe ich erst so wenig geschrieben, für den Hugi.GER gar noch weniger. Ich muss jetzt schnell einen Artikel schreiben. Es kann doch nicht angehen, dass ich, dessen Artikel früher 25 bis 33 Prozent der Gesamttextmenge ausmachten, und das in Zeiten, als eine durchschnittliche Hugi-Ausgabe 1,4 MByte Text enthielt, jetzt gar nichts mehr schreibe. Ich muss das Magazin vollkriegen, mit interessanten Artikeln." Dann lasse ich mich zumeist leger in meinen Sessel fallen, starte Notepad oder Aurora und tippe spontan ein paar Zeilen ein zu Themen, die mich derzeit bewegen. Doch meistens fällt mir in solchen Momenten nicht mehr ein als die Sinnlosigkeit, sich zu zwingen, einen koherenten, unterhaltsamen Text zu schreiben, der für die Leser interessante, neue Fakten enthalten soll. Ich schreibe dann tatsächlich fast ausnahmslos übers Schreiben.

Die Artikel, die auf diese Weise entstehen, sind bis auf wenige Ausnahmen unter 4 KByte kurz und inhaltlich belanglos. Da lasse ich mich etwa darüber aus, dass Farbschemen Auswirkungen auf die Qualität der Schreibarbeit haben können und vergleiche meine liebsten Texteditoren hinsichtlich dieses psychologischen Faktors. Ich erkläre, dass Blau beruhigend und Weiß neutral, beinahe steril wirkt. Schwarz stimmt den Autor eher traurig und kann ihn zu tiefsinnigen Gefühlsanalysen verleiten, aber normalerweise nicht dazu, über einen Ausweg aus Problemsituationen nachzudenken. Rot hingegen, das in den Standardeinstellungen der Texteditoren normalerweise nicht als Hintergrundfarbe vorgesehen ist, hat eine aggressive Wirkung, und es wäre vielleicht wert, einmal auszuprobieren, wie man mit einem rot lackierten Texteditor schreibt.

Ein anderer Artikel handelt von der Vermutung, dass Geheimdienste vielleicht Zeitschriften wie Hugi sorgfältig durchlesen, um Lebenseinstellung, Potential und Gesinnung der einzelnen Autoren zu analysieren und schließlich Akten über sie anzulegen.

Ein dritter argumentiert gar gänzlich gegen meine Prinzipien. Er schlägt nämlich vor, absichtlich Regeln der Orthographie und der Grammatik zu vernachlässigen, damit die Artikel eine zusätzliche persönliche Note enthalten.

Schließlich schrieb ich sogar zwei Texte über mangelnde Inspiration beim Artikelschreiben und wie man dennoch einen hochwertig erscheinenden Textsalat hervorbringen könnte.

Solche Artikel wandern immer in das Verzeichnis adok\articles\_unused. Löschen möchte ich sie nicht, vielleicht kann man sie ja noch einmal brauchen. Aber ich würde mich schämen, so etwas in Hugi zu veröffentlichen.


Dabei sind sie viel persönlicher als etwa Vorstellungen von Demogruppen, deren Mitglieder ich nur aus dem Internet kenne, oder das x-te Diskmag-Review. Aber es ist nunmal nicht Aufgabe eines Journalisten, auch wenn er seine Tätigkeit nur hobbymäßig ausübt, über sich selbst zu schreiben. Das kann man schon machen, wenn man sich schriftstellerisch betätigt, aber selbst dann muss es zumindest in guter literarischer Form geschehen. Die Aufgabe des Journalisten ist, über andere zu schreiben, und das in einer spannenden Weise, die den Leser fesselt. Zudem muss man juristisch unangreifbar sein, darf also nur nachweisbare Fakten bringen. Wenn man meinungsbildend wirken will, muss dies subtil geschehen.

Fürwahr, selbst Gruppenvorstellungen und Reviews sind nicht wirklich das Wahre. Wer liest das schon? Szener wissen über solche Sachen meistens schon bestens Bescheid, und die anderen interessiert so etwas nicht. Eher schon entsprechen Party-Reportagen echtem Journalismus, vorausgesetzt, es gibt etwas Interessantes, Neues zu berichten. Leider sind die meisten Reports einander derart ähnlich, dass man glauben könnte, man habe einen Standardreport genommen und nur den Namen der Party geändert.

Die Demoszene gibt tatsächlich nicht viel an aktuellem Stoff her. Selten habe ich einen wirklich faszinierenden Artikel über sie in einem Diskmag gelesen. Ich kann mich nicht einmal an ein einziges konkretes Beispiel erinnern. Das zeigt, dass auch die wenigen Ausnahmen, die es wohl doch gab, keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterließen.

Man könnte natürlich auch ständig die Mythen der Vergangenheit beschwören und so Ausgaben füllen. Das Vergangene, die "good old days", liegt wenigstens so weit zurück, dass man sich nicht mehr daran erinnern kann, wie langweilig es eigentlich war. Wie ich oft sage: Einer kommerziellen Zeitschrift wäre die Demoszene höchstens einen einzigen, doppelseitigen Artikel wert, und auch der wäre nicht die Coverstory, sondern würde irgendwo hinten im Blatt gedruckt sein.

Wie interessant sind dagegen doch die Reportagen in kommerziellen Zeitungen und Nachrichtenmagazinen, aus welch Bereichen von Wirtschaft und Wissenschaft da berichtet wird, von denen man vorher vielleicht nicht geahnt hätte, dass es sie überhaupt gibt. Gut, solche Storys sind immer etwas oberflächlich. Man erhält nur einen ersten Eindruck vom Thema. Das ist etwas anderes als Sachbücher und Fachzeitschriften wie die Diskmags der Demoszene, die sich detailliert auch über das letzte uninteressante Detail auslassen. Aber es ist unterhaltsamer zu lesen, ohne trivial zu sein.

Für den Amateur ist es schwierig, selbst solche Reportagen zu verfassen, wenn er nicht gerade Experte auf dem jeweiligen Gebiet ist. Zumindest muss er Stoff aus verschiedener Primärliteratur zusammenzutragen, um ihn verarbeiten zu können. Indem er seinen persönlichen Schreibstil und seine eigene Meinung einfließen lässt, schafft er daraus Neues.


Das ist, was All-Purpose-Diskmags wie Hugi.GER kennzeichnet. Deshalb haben solche Diskmags Sinn.

Nicht Konzeptlosigkeit, sondern Themenvielfalt soll der Hauptvorzug unserer Zeitschrift sein. Natürlich muss sich der Autor vorher gründlich mit der Materie befassen, bevor er seinen Artikel niederschreibt. Es steht ihm aber frei, über alles und jeden zu schreiben, ganz nach seinem Belieben, und er darf frei seine eigene Meinung äußern.

In diesem Sinne: Nützt eure Chance, macht mit bei Hugi.GER!


Adok/Hugi - 07 Jul 2000