Black Mama - Teil 5

Jörg Feierabend


Blut & Busen, das Magazin für unkomplizierte Fragen und schnelle Antworten, kassiert soeben einen ihrer größten Erfolge: Der Leitartikel "Ich will nur das eine / Eine Nachtwächterin packt aus" erregt viel Leserinnen.


Beim ZeitenWanderer veröffentlicht man soeben den ersten Artikel aus der Zukuft desselben. Obwohl es sich eigentlich um gar keinen wirklichen Artikel, sondern vielmehr um die Anzeige einer kommenden Verwaltung handelt:


Gedankenkontrolle


Seid hübsch! Seid jung!

Immer fit!

Tragt einen -

"G e s u n d o m e t e r"!


Ob zuviel gegessen oder getrunken, ob geärgert oder Magenschwinger, in jedem Falle hilft der "G e s u n d o m e t e r".


Welche Drüse es auch sei, die da angeregt werden muß, welches Enzym auch gerade im Körper fehlt - alles macht vollautomatisch "Gesundometer". Und wie bei der Handywartung wird auch hier alles von der zentralen Verwaltung überwacht, geprüft und abgestimmt. Hast du böse Gedanken, weil Anträge auf neue Bettwäsche seit acht Monaten nicht bearbeitet wurden? Kein Thema - dein Magen wird entsäuert.

Stellst du für deine Umwelt eventuell ein Sicherheitsrisiko dar?

Weil du krank bist oder werden könntest? Kein Thema!

Erst verspürst du den dringenden Wunsch nach Isolation, dann eine wahnsinnig starke Sehnsucht dein Leben sauber in einem Gummisack mit innenliegendem Reißverschluß zu beenden.

Gesundometer

- aus Rücksicht auf die anderen.


Elvira bebt vor Wut! Wenn diese blöde Sache mit den verschwundenen Männern und diesen seltsamen Figuren, die diese Pfeifen suchen, nicht wäre, würde sie längst ganz anders zugeschlagen haben!

Aber zu allem Übel auch noch diese elektronische Wildsau von Virus, die immer schneller, immer größere Löcher ins Net reißt! 'Beer and Tequila forever!' Ha!

Und sie darf das Vieh noch nicht einmal abschießen, weil die Herstellerin statt unvorsichtig zu werden, gewarnt sein könnte! Und sie hat sich beschwert, diesen häßlichen Dämonen mit dem Gesicht eines Enthirnten verloren zu haben!

Knurrend zieht Elvira die Schirmmütze tief in die Augen.

Da klickt es in ihrem Schädel!

Sie hat es gar nicht mit einem Dämonen oder einem Virus zu tun!

.... - sondern mit beiden gleichzeitig!

Dieser miese Virus fungiert nur als Brechstange!

Kaum sind ein Dutzend Löcher im Net entstanden, spaziert der Dämon durch irgendeines von diesen hindurch.

Offensichtlich Taktik, um seinen Weg zu tarnen. Je mehr Löcher, je mehr Möglichkeiten.

Genial, wirklich genial.

Ein Dämon, der um sich herum reichlich Chaos stiftet und anschließend unerkannt seine kleinen Schweinereien abzieht.

Verdammt! Verdammt! Verdammt!

Sie hat ja gewußt, daß sie außer ihren kleinen Nebengeschäften mit Männerkörpern auch gewisse elektronische Vorkehrungen hätte treffen müssen!

Aber was soll's? Dieses Viren-Dämonen-Gespann soll sich erst einmal in Sicherheit wiegen und dann ...

Würde sie ja nicht wundern, wenn diese ZeitenWanderer-Schweinchen da auch irgendwie mit drinhängen. Elvira wühlt in ihrer Tasche nach einer Lucky Lakritz.

Andererseits - es ist natürlich ein erhebendes Gefühl zu sehen, daß noch jemand ähnlich gute Tricks drauf hat wie sie!

Hier täuschen, dort zuschlagen.

Hat was.

Erinnert sie fast an das Prinzip ihrer Glücksspielidee.

Eine wirklich tolle Idee übrigens.

Sie sieht es förmlich vor sich: Das Patientenvolk starrt steifen Blickes auf die Schirme, knetet den Tippschein, betet, schwitzt, schluchzt, weint, während sie, Elvira, erst die Virenschreiberin und dann diese Gespenster-Fuzzies unter Heulen und Wehklagen durch die Gänge jagt.

Ihre Hand schließt sich kraftvoll um die Kaffeetasse.

Jetzt bricht sie in einen Lachanfall aus.

Angelinas blanke Rehaugen schauen ihre Kollegin milde an.

Elvira springt auf und übt sich im Schattenboxen.


Das Telefonat zwischen Marylin und George ließ sie beide, aber natürlich auch die mehreren hundert Mithörerinnen und paar Mithörer, noch allerhand Despektierliches erfahren.

Ein Gespräch, welches in der nahen Zukunft rasant schnell zum Klassiker avancieren wird.

Die Kommunikation bricht ab, als George erneut und vorerst endgültig die Stimme versagt. Beinahe zeitgleich mit dem geräuschvollen Eintreffen der drei Hospitalianer.

"Da, da ist das Bett!" Frederico hat endlich das richtige Zimmer gefunden und rutscht lebhaft auf allen vieren dorthin.

Stripper und Rocky folgen ihm.

Sehen, daß es dort tatsächlich ein großes Bett gibt und in einer Nische eine Gipsbüste, eine Hand mit gestrecktem Mittelfinger.

Aha, auch noch ein Symbol des Wächters über gesunden Schlaf, folgert Rocky forsch und versucht erstmalig, selbst diese Figur zu formen.

Frederico nimmt noch schnell George das Handy wieder ab, schubst ihn zurück auf den Gang und ahmt sofort Rocky nach.

"Archäologengruß", sagt er dann, als sie sich alle drei die Mittelfinger zeigen.

"Ja," bestätigen die anderen heiter und so vereinbart man im amüsanten Verschwörerton, sich jetzt nur noch so begrüßen zu wollen. Und falls dieser komische Weiße, also der, der da quatscht, wiederkommen sollte, wollen sie alle gemeinschaftlich ihn so begrüßen. Schließlich war er irgendwo doch ganz witzig, dieses Schreckgespenst.

Stripper meint das natürlich nicht ernst. Frederico findet es cool. Rocky denkt drüber nach.

Wer weiß, vielleicht hat dieser geheime Gruß aus längst vergangenen Tagen magische Kräfte? Vielleicht solche, die speziell auf und für Männer positive Auswirkungen haben?

Na, ja.

Zeit zur Arbeit zurückzukehren.

Rocky klatscht ermunternd in die Hände, seinen kurzen Nacken nach links und rechts wendend.

Die anderen sollen sich gefälligst etwas umtun. Jegliche Entdeckung sei sofort zu melden.

Frederico zeigt auch sofort auf eine riesige Tafel, die über dem Bett prangt. Veredelt mit einem kurzen Sinnspruch sowie einer extrem kurvigen, extrem sparsam bekleideten Blondine. Im trüben Licht darf der Entdecker den kurzen Text stottern, der anfängt mit "Warum du mir gehörst, Süßer".

Der Rest, soweit auf die Schnelle ausmachbar, handelt von der Abhängigkeit des Mannes vom Weibe und seinem einsamen frühen Tode ohne diese.

"Aha", sagt Rocky, sich in den Schultern zurückwerfend, "so ist das also!"

Frederico und Stripper sehen ihn an.

"So wurden und werden wir Männer ausgequetscht und unterworfen. Das Geheimnis hätten wir jetzt ja wohl gelüftet!"

Stripper fällt haltlos wiehernd in den Kleiderschrank hinein.

Marylin droht vor Gelächter einem Erstickungsanfall zu erliegen.

Frederico glotzt blöd und Rocky schnürt würdevoll seinen Bademantel.


Neun Minuten später hat auch Stripper wieder Luft genug, um die beiden bei den Schultern zu nehmen und immer noch japsend zu sagen: "Jungs, ich glaube, ich muß euch was erklären. Da war doch vorhin so ein interessantes Buch."

Und nun wird er dozieren über das Thema, daß Sex im Leben eines Mannes nicht alles, aber alles andere eben unwichtig sei.

Stripper erklärt seinen beiden Schülern nicht nur was, sondern auch wie weit gefächert "Sex" ist.

Als Beispiel erzählt er einen Schwank aus seinem Leben, damals vor seinen Operationen, als er noch 1,65 Meter groß war und mit Kugelbauch, ekliger Frisur und Gurkennase durch die Welt gehen mußte:


Ich hatte gerade einen neuen Job angenommen. Im Geschäft für Ehehygiene an der Ecke.

Da kommt ein Typ mit zwei blauen Augen rein.

Ich frage ihn, was passiert ist und er sagt, das wäre alles die Schuld der Gummipuppe.

Aha, die Ehefrau war eifersüchtig oder der Typ von nebenan dachte, es wäre seine Frau.

Aber weit gefehlt!


Der Kunde hatte sich auf die Puppe gestürzt, mit beiden Händen nach dem ersten zur Verfügung stehenden Mops gegriffen, da drosch ihm das zweite Ding aufs Auge. Er handelt reflexartig, haut beide Pfoten auf das andere Teil und hat sofort das zweite Veilchen.


Jetzt reicht es ihm!

Er packt beide gleichzeitig! Mit voller Wucht!

Er wird doch wenigstens noch eine Gummipuppe zügeln können!

Tja, da haut's dem Ding die Beine hoch, eins zwischen seine.


Er springt natürlich jodelnd hoch!

Fällt zurück!

Stürzt sich auf die Puppe als Ganzes!

Er prallt ab, die Puppe platzt.

Seine Fresse war lädiert und er nur noch Besitzer von Gummifetzen.


Rocky hat diese kleine Anekdote leider nur sehr begrenzt verstanden.

Leicht genervt davon, irgendetwas offensichtlich Fundamentales nicht zu wissen (und das ihm als Detektiv), macht er sich wieder davon, weil er "schließlich noch zu arbeiten" hätte.

Stripper und Frederico, überrascht von diesem kleinen Ausfall, folgen ihm interessiert, um ihm, einem "Oberen Verwaltungsdetektiv", bei der Arbeit zuzusehen.

Rocky, erneut leicht genervt, krabbelt auf Knien in das dem Schlafzimmer am nächsten liegende Räumchen, um "Daten zu sammeln, die eine einwandfreie Erkennung und Nutzung der Möglichkeiten beinhalten, die offensichtlich dem quatschenden Weißen zur Verfügung stehen".

Prompt verschwindet er im Spiegel und damit vor den Augen Strippers und Fredericos, die mangels weiterer Anweisungen erst einmal vor Ort verharren.


Jim-Bob, der inzwischen seine Pläne, sich an der Heizung zu erhängen, aufgegeben, um nicht zu sagen, einfach vergessen hat, ist überglücklich, daß soeben zumindest einer der Geister wiedergekommen ist.

Zwar stößt dieser nur wilde und ihm unverständliche Flüche aus ("Hätt' ich Idiot mich doch für den Putzwagen entschieden!"), aber besser als nichts.

"Okay, Weißer." Rocky, erschöpft vom vielen Fluchen, entbietet höflich den gestreckten Mittelfinger mit knallender Hand auf dem Oberarm.

"Ich glaube, du schuldest mir jetzt erst einmal ein paar Erklärungen." Er verlagert sein Gewicht auf ein Bein und hakt die Daumen hinter die Patronengurte.

Jim-Bob, leicht verunsichert, ist inzwischen dazu übergegangen, zu glauben, daß, wenn es schon nicht die Heiligen Drei Könige und auch nicht Todesboten sind, es sich noch um Schutzgeister handeln könne.

Offensichtlich um moderne solche, wenn sie einem den Finger zeigen.

In Unkenntnis, welche Erklärungen gemeint sein könnten, fängt Jim-Bob stammelnd davon an, daß man ihn angeschissen, seine PCs beschlagnahmt habe. (Er zeigt seinerseits den gestreckten Mittelfinger.)

Auch bliebe sein Werk 'Die Reitpeitsche' nun unvollen ....

"Ja, ja, ja. Und was zur Black Mama ist ein "PC", du Toilettentieftaucher?"

Jim-Bob macht ein dümmliches Gesicht.

Ob Geister über keine Computer verfügen?

Er dachte immer, die wären allwissend.

Wohl doch nicht.

Oder dieses ist ein noch junger Geist? Einer, der in der Ausbildung ist, eventuell? So gesehen, der sieht wirklich nicht aus, als wenn er Jahrhunderte alt wäre.

Jim-Bob patscht mit der Hand auf die uralte Gurke, die auf seinem Tisch steht. Letztes Wochenende preisgünstig auf dem Flohmarkt erworben, womit sich der Verkäufer die unangenehme Frage der Entsorgung vom Hals schaffte.

"Das hier ist ein PC!"

"Ach, das Riesen-Handy! Ach so."

"Riesen-Handy, haha. Ja, das ist gut!"

Wort- und gestenreich führt Jim-Bob nun aus, wie gern er sich doch wünschen würde, sich mit seinem unvollendeten Roman vereinen zu können, ein Teil des weltumspannenden Nets zu werden, asexuell zu sein, die reine Liebe zu spüren, weil er dann ja auch keine eigenen Gene mehr weitervererben könne.

Nie wieder scheißen müssen, nie wieder schwitzen, leider auch nie wieder Rausch.

Er beendet seinen Ausfall mit "Viva la libertad!", Kopf und Haupthaar heftig schüttelnd.

Rocky, restlos geätzt davon die begehrten Antworten gar nicht, unerwünschte dafür umso reichlicher zu erhalten, kriecht auf Knien den Raum ab, um einen Weg nach draußen zu finden, zurück in die oberen Geschosse von Hospitalia.

Dabei gerät er hinter die Gardine und sieht erstmalig in seinem Leben in dunkler Nacht hellen Mondenschein auf schneebedeckten Hügeln vor Waldesrand glitzern.

Das dreidimensionale Bild findet er sehr hübsch und fragt den Weißen, warum er so doof wäre, es zu verstecken, und wo, blackmamanochmal, denn nun dieser verdammte Ein- und Ausgang wäre?

Jim-Bob, auf der Hut über all jenes, was der Geist da erzählt, es kann schließlich immer alles eine Prüfung sein, antwortet vorsichtig und ausweichend.

Ein Geist, der keine Nacht kennt?

Vorsichtig schiebt er sich zum Fenster, tut einen schnellen Blick nach draußen. Alles normal da.

Was will der eigentlich?


Es ist dieses eine der Situationen, wie sie erst kürzlich in "Frau Heute" diskutiert wurde. Ein Männerhirn trifft auf intelligentes Leben in einem bisher unbekannten Bereich (wenn auch kein fremder Planet).

War allerdings bei "Frau Heute" noch von Hospitalia-Männerhirnen überlegenen Intelligenzen die Rede, wird hier die Unvollständigkeit dieses Gedankens klar, wenn ein gewisser Punktegleichstand herrscht.

Jim-Bob entgeht geschickt weiteren unangenehmen Fragen, indem er einen sinnreichen Text aus einem seiner multimedialen Werke zitiert:


Mein verbliebener Leichnam lächelt sein Lächeln des Schädels,

Als er sich dem Staub der Ewigkeit zufügt,

Von einem Wind davongetragen,

Ein jedes Staubpartikel ein Virus.

Möge es andere infizieren,

Möge es auf fruchtbaren Boden fallen.

Auf daß der Kranke weiter wachse,

Mehr von ihnen infiziere,

Als mein Körper es vermochte.


Jim-Bob faltet die Arme überkreuz, hält die Augen für eine Redepause ergriffen geschlossen.

Rocky, in Sachen Literaturlesung gänzlich unerfahren, gibt ohne Aufforderung eine ehrliche Meinung ab. "Weißt du? Irgendwie kann ich verstehen, daß Black Mamas Heilige Kühe Typen wie dich als Hopitalias schlimmstes Gift bezeichnen."

Jim-Bob hat den Zusammenhang nicht ganz verstanden, unterläßt aber beleidigt jede Nachfrage.

Stattdessen wechselt er pikiert das Thema. Was das vorhin eigentlich sollte?

Ihm einfach so den Mittelfinger zu strecken?

Rocky, mitleidig lächelnd, gibt zu verstehen, nur höflich gewesen sein zu wollen, was aber wohl nicht von jedem Primi verstanden werde.

"Ach soooo ist das! Aber Rocky, mit dem Finger kannst du doch noch viel, viel mehr erreichen!" Etwa wenn Mann sich bei Frau beliebt machen wolle, sei dieses der Zauberfinger, um wirklich waaahnsinnige Reaktionen hervorzurufen.

Rocky, mangels Möglichkeit Interesse an Frauen entwickeln zu können, hakt interessiert nach, ob man diesen Zauberfinger nicht auch verwenden könne, um sich bei Verwaltungsgeiern beliebt zu machen.

Dort nämlich hätte er seine größten Schwierigkeiten.

Jim-Bob bestätigt, eifrig nickend, daß gerade bei der Verwaltung dieses ein todsicherer Weg wäre, um endlich einmal für Bewegung zu sorgen.

"Zeig' ihnen den Finger, Rocky! Und danach - danach wird man sich ganz gewiß um dich kümmern!

Wer weiß?

Vielleicht bekommst du sogar ein eigenes Zimmer? Das geht manchmal sehr schnell!"

Rocky ist begeistert: "Wirklich?"

"Wenn ich es dir doch sage! Man wird dich gar nicht mehr gehen lassen wollen!"

Rocky seufzt vor stillem Vergnügen.

Er hat doch gewußt, daß an diesem verdammten Finger irgendetwas dran ist.

Er hat es gewußt!

Ob Jim-Bob das auch wirklich ganz ernst meine?

Jim-Bob bestätigt, daß er es sehr ernst meine.

Rocky kalkuliert die Möglichkeiten.

Wahrscheinlich besser, wenn er das Geheimnis erst einmal für sich behält.


Tief über ihre Schreibtische gebeugt, grübeln Angelina und Elvira.

Denn in einem herrscht Einigkeit. Das "Wo läuft das Pünktchen-Projekt", als unterhaltsame Wette zur Einspielung viel Geldes und netter Nebeneffekte, will sorgfältig vorbereitet sein.

Plötzlich werden Elviras leuchtend weiße Zähne in dem tiefdunklen Gesicht hinter einem mokanten Lächeln sichtbar.

"Eigentlich sollten wir auch einmal an eine Gehaltserhöhung denken. Die Lebenskosten in Hospitalia steigen schließlich."

Angelina lehnt dieses ganz kategorisch ab. Ihre nerzbraunen Augen sind voller Zorn, über diese - diese ungeheuer dreiste Selbstbedienungspolitik.

Nie und nimmer sei solches mit ihr zu machen.

Und wenn doch, dann nur wenn rückwirkend für die letzten drei Jahre.

Sie prustet quietschvergnügt und Elvira atmet ehrlich erleichtert auf.

Anschließend wird man sich einig, daß für den Wettplan so etwas wie ein Prototyp hermüsse.

Nach kurzer Überlegung (und Elviras zartem Drängen) hat man sich entschieden, es erst einmal mit einer einzelnen Figur zu versuchen, vorzugsweise natürlich einem Mann.

Die Wahl fällt auf Stripper, weil der "ohnehin keine gesellschaftliche Rolle spiele".

Er besitzt nämlich aus Gründen der persönlichen Sicherheit kein Konto.

Außerdem liegt - für alle Eventualitäten - bei diesem Stripper-Typen die Möglichkeit einladend nahe, darauf hinzuweisen, daß man ihn auch gleich ganz verschwinden lassen könne .... Bei den vielen Männern, die in letzter Zeit abhanden kämen, wäre er schließlich nur eine Ziffer in der Statistik, die ohnehin niemanden interessiere.

Die Damen der Kontrollinstanz wiehern heftig.

Da wäre die Drohung ja beinahe witziger als das eigentliche Spiel!

Wo man schon dabei ist, befindet man auch gleich, daß Typen ohne Konto ohnehin verboten gehörten. Wie soll man so Steuern kassieren?

Das ohnehin nur noch geringfügig in Umlauf befindliche Bargeld wird zugunsten der Kontokarte (Buchung 1,20 KVKs) aus dem Verkehr gezogen.

Noch eine Idee von Angelina!

Elvira knirscht nicht nur innerlich mit den Zähnen.

Was ist bloß los? Ob die Tante heimlich eine Frischzellen-Kur gemacht hat? Mißtrauisch schielt sie die Kollegin aus den Augenwinkeln an.


Die mangelnde Sorgfalt bei diesem Beschluß zur Vernichtung allen Bargelds wird allerdings sehr bald offenbar werden. Nämlich sobald einige hochstehende Persönlichkeiten feststellen, daß bei der existierenden "Kontofreiheit" nun eine jede - zur Belustigung der Bevölkerung - als Kundin von eher pikanten Artikeln oder Dienstleistungen ausgemacht werden kann.


Vor allem die Redakteure eines einschlägig als obrigkeitsfeindlich bekannten Magazins werden sich einen Heidenspaß daraus machen, gerade die Konten bekannter Personen nach delikaten Empfängern abzusuchen, um schamlos darüber herzuziehen.

Bargeld wird daraufhin sehr bald wieder zugelassen werden. Es habe sich lediglich um eine komplizierte Währungsangelegenheit gehandelt.


Angelina checkt mal eben die Monitore, wo die Stripper-Type gerade steckt und wohin er wohl laufen möge. Zu ihrer beider nicht geringen Überraschung macht man ihn unterhalb der Pathologie aus.

Da also versteckt sich das kleine Miststück zwischen seinen Auftritten! Kein Wunder, daß Elvira ihn nie außerhalb der Bühne gefunden hat! Na warte!

Sofort werden fieberhaft uralte Grundrisse studiert, wobei man verärgert feststellt, daß irgendwann einmal eine ihre Vorgängerinnen mit zitternder Hand eine komplette Wohnung, schräg unterhalb der Pathologie, als "Verbotene Zone" gezeichnet hatte.

Verbotene Zone? Was heißt denn hier verboten? Seit wann ist denn für die Verwaltung, zumal die Kontrollinstanz, irgendetwas verboten? Frechheit!


In der ZeitenWanderer-Redaktion bricht derweil eitel Freude aus. Die Aktion aus Vergangenheit und Zukunft Lieblingsartikel und ähnliches einzusenden, ist ein voller Erfolg!

Inzwischen hat man mehrere Sonderausgaben bringen können, ohne erst lästige Redakteursgehälter dafür aufwenden zu müssen.

Erstaunlicherweise hat sich auch die Nachfrage, Werbung im ZeitenWanderer zu schalten, angenehm vervielfacht.

Der größte Run aber, der erfolgte ausgerechnet auf eine völlig altmodische Papieranzeige hin. Stripper, beinahe in Lebensgröße, neben ihm die Chefredakteurin.

(Glücklicherweise erlaubte moderne Drucktechnik, was der Puder nicht geschafft hat. Ihr Gesicht ist schön dunkel und auch noch etwas verschlankt.)

Sicher, die ersten einhundert Werbeplakate dieser Art sind alle binnen Minuten geklaut worden. Aber die anderen neunhundert Teile, die hat man - mit saftigem Aufschlag - über eine gerahmte Kleinanzeige verkauft.

Selbst die Kaffekasse ist voll und das Telefon wieder in vollem Umfange benutzbar.

Trotzdem, so recht wohl ist der Chefin nicht in ihrer gefleckten Haut.

Nicht deshalb, weil fast alle fragten, ob man nicht die Kuh auf dem Bild wegschneiden könne und es dann vielleicht billiger sei, nein, nein, das ist nicht der Grund.

Daß der blöde Zwerg und die blonde Marylin-Kröte auf dem Poster nicht zu sehen sind, belastet sie ebenfalls herzlich wenig.

Nein, vielmehr ist es diese Vergangenheits-/Zukunfts-Artikel-Aktion.

Irgendjemand scheint da nämlich mal wieder den Witz nicht recht kapiert zu haben.

Oder weshalb sind da ein paar Artikel eingetroffen, von denen man wirklich glauben möchte, daß sie aus der Zukunft sein könnten? Oder, schlimmer noch, jene, die aus sehr viel länger zurückliegenden Tagen als erwartet stammen?

Unter anderem auch die sagenhafte Nr. 1. Der allererste und inzwischen jahrhundertealte ZeitenWanderer-Artikel, der je geschrieben wurde ...


Aktionäre erwarten Profit, Profit, Profit

- Neue Gewinnstrategien für Banken mit Filialnetz (Teil I)

von M. Achiavelli


Banken müssen Tradition, Vertrauenswürdigkeit und lange Geschichte nach außen hin symbolisieren!

An dieser Stelle ist von nun an Flexibilität gefragt! Wir können nicht mehr auf der Stelle stehen. Das ist wörtlich zu nehmen, Herrschaften!

Die Innenräume der Bank müssen in Zukunft dem römischen Kolosseum nachempfunden sein, ohne die Vorzüge der Moderne außer Acht zu lassen!

Stellen Sie sich jetzt bitte die Ränge innerhalb des Kolosseums vor: Sie stehen unten an der Stelle des Schalterbeamten, an einem abgeschirmten Podest (etwa mit Stahlstacheln versehen, verbunden mit dem Werbeschild eines lokalen metallverarbeitenden Betriebes).

Der Kunde kommt durch abgeschirmte Eingänge über den Sand auf sie zugelaufen. Das heißt, der Schalter muß auf einem Kettenfahrzeug aufmontiert sein, einen um 360 Grad beweglichen Turm, ein hochempfindliches Mikrofon und ein Dutzend Kameras haben.

Die Kameras übertragen die Bilder von Schuhen, Beinbekleidung, Gürtelschnalle, Kehlkopfbereich (Stichworte: Schluckbewegungen, Griff an die Krawatte) auf mehreren dem Publikum aber nicht dem Kunden zugänglichen Monitoren.

Der Schalterbeamte verfügt natürlich über eigene weitere Monitore, welche die Schwächen des menschlichen Auges ausgleichen und anhand der Bildauswertung (Markenkleidung, Lebenserwartung anhand von Kopfbehaarung und Zähnen) eine Bewertung der Kreditwürdigkeit liefern.

Die Höhe dieser Wagen sollte so ausgerichtet sein, daß die zum Arbeitsbeginn noch leicht staubigen Stiefel des Schalterpersonals in Gesichtshöhe der Kundschaft sind.

So - und nur so - wird dieser die Gelegenheit gegeben, zu demonstrieren, wer von ihnen am ehesten das Vertrauen der Bank verdient.


Beträge, Formulare etc. sind auf eine bodenlange Abfallschaufel des jeweiligen Schalters zu legen. Die teuren und ohnehin nur enervierenden Quittungen werden ab sofort abgeschafft.

Der Kunde muß lernen, Vertrauen zu seiner Bank zu haben!


Abgelehnte Kreditnehmer sollten vom Publikum ausgiebig verlacht, verhöhnt und beworfen werden dürfen.

Die Schalterbedienung, an Kleiderordnung ohnehin gewöhnt und vertraglich gebunden, erscheint fortan sowohl in traditioneller Gladiatorenkleidung als auch in modernem Lack- und Gummi-Outfit mit Handschellen, Gummiknüppeln, Spiegelbrillen und Schirmmützen. Dieses steigert noch einmal das Interesse des Publikums, das sich somit auch eher mit dem Schalterpersonal identifizieren kann, was in der Vergangenheit so gut wie nie der Fall war.

Nutzen Sie diese Chancen jetzt - bevor es die Japaner tun.


Abschließend, ahem, möchte ich aus gegebenem Anlaß einen geradezu unwürdigen Vorschlag zurückweisen!

Das weibliche Schalterpersonal nach 22.00 Uhr oben ohne herumlaufen zu lassen, mit dem Argument "sex sells", ist unter keinen Umständen diskussionsfähig!

Geldhäuser sind seriöse Unternehmen!


Jim-Bob, Autor und Herausgeber dieses Artikels in einer Person, hat bezüglich Geldinstituten sehr eigene Ansichten.

Nun hat er diese, zum Beweis seiner schöpferischen Intelligenz, dem etwas gereizt wirkenden Rocky zur Aufheiterung in die Hände gedrückt.

Leider ist es den beiden bisher nicht gelungen, herauszufinden, daß der eine aus Hospitalia und der andere aus dessen Vergangenheit stammt.

So gehen beide davon aus, denselben kulturellen Hintergrund zu haben.

Dieses kleine Mißverständnis macht es ihnen schwer, Normverschiebungen beim Humor zu erkennen.

Für Rocky klingt diese Beschreibung des Bankenwesens nämlich sehr vertraut und damit banal.

Um nicht noch weiter mit solchen Alltäglichkeiten belästigt zu werden, führt er sein unterbrochenes Verhör vorsichtig fort: "Wo zur Mama bin ich hier eigentlich?"

Jim-Bob, aus Gründen der Inspiration beschäftigt mit einer alten Lieblingslektüre (Robin Hood / König der Geächteten), brabbelt als Antwort zusammenhanglos, aber ausführlich von der Zeit dieses Bogenschützens.

Rocky stöhnt.

Daumen und Zeigefinger auf die Augen pressend, müht er sich, noch einmal alle Fakten zu sammeln.

Zwei Weiße. Einer grunzt, einer redet wirr.

Weiße Männer kann es eigentlich gar nicht geben.

Wenn doch, dann sind es böse Geister.

Wenn dem so ist, befindet er sich folgerichtig irgendwo in der Hölle.

Okay, soweit die bekannten Daten.

Welche Fragen ergeben sich jetzt daraus?

Gibt es einen Weg aus der Hölle?

Wenn ja, dann wo?

Die Fluse, die drüben vertrocknet im Sessel hockt, hat ihn ja offensichtlich nicht gefunden. Beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Der Typ wäre doch längst auf Tellern gelandet, wenn man nur von dessen Ableben gewußt hätte!

Man wußte aber nichts davon, weil normalerweise kein Schwein freiwillig zur Pathologie dackelt!

Geschweige denn auch noch darunter.

Rocky seufzt.

Falls der Frederico-Depp nicht gelogen hat, kommt das andere weiße Kamel auch von unter der Pathologie her.

Also doch die Hölle!

Mißtrauisch blickt Rocky um sich.

Nie hätte er gedacht, daß an dem Geschwätz von Black Mamas heiligen Kühen tatsächlich irgendetwas Wahres dran sein könnte.

Andererseits - so bedrohlich findet er diese weißen Teufel gar nicht.

Die Lucky Lakritz, die er sich in den Mundwinkel stecken wollte, läßt er angewidert wieder in der Tasche versinken.

Sie hat, trotz der Opferung mehrerer Streifen seines Notizblock-Klopapiers, unrettbar den intensiven Geruch des Bademantels angenommen.

Also, kurzes Schütteln, angefangen hatte doch alles in diesem idiotischen Wandschrank.

Rocky stellt seine einssiebzig hinein, sieht sich um.

Eigentlich komisch, obwohl das Szenario stimmt, ein dunkles Loch tief unten, bewohnt von einem mysteriös klingenden weißen Mann, hat er sich die Hölle irgendwie ganz anders vorgestellt.

Was die Verwaltung wohl mit dem Typen anstellen würde?

Höchst verwundert blickt Jim-Bob über den Buchrand dem seltsamen Besucher zu, wie er in seinem Wandschrank herumgrabbelt.

Rocky entdeckt jenes, was er vorher nicht weiter beachtet hat.

Der Wandschrank hat einen ziemlich großen Spiegel!

Breit lächelnd läßt er seinen Arm darin verschwinden.

"Die Nummer ist nicht schlecht, Weißer! Aber ein Profi findet es trotzdem 'raus."

Jim-Bob lächelt höflich. Es ist ja bekannt, daß Geister durch Wände gehen. Kopfschüttelnd sucht er zwei annähernd saubere Gläser.

Ob Gespenster trinken können.

Als er Rocky den Martini hinhält, ist niemand mehr da, der ihm den abnehmen könnte.


Die Vermarktung von Marylins und George leidenschaftlichem Telefonat unter dem Titel "Rein sexuell betrachtet" (gesponsort von Blut & Busen) ist ein absoluter Renner geworden.

Marylin ist glücklich. Singend und tanzend läßt sie Skalpelle auf Gläsern mit sterilen Lösungen klingeln, während ihre digitalen Kontoeingänge scheinbar unaufhörlich in die Höhe ziehen. Nur schade, daß bisher niemand ihr neu erdachtes Liedgut ('KVKs are a girl's best friend') sponsern mag. Verspielt dreht sie eine Pirouette.

Selbst Blut & Busen ist derart überwältigt von diesem Telefon-Erfolg, daß man händeringend neue, phantasievolle Sprecher sucht, um gleich eine ganze Reihe zum Thema präsentieren zu können.

Denn die dort draußen auf den Gängen, die sind so bewegt, wie seit ewig langer Zeit nicht mehr.

Zu hunderten krächzen dort draußen erwachsene Patientinnen mit französischem Akzent lustvoll Georges angegriffene Stimme nach.

Wiehernd wettern sie Marylins deftige Beleidigungen in immer wieder neuen Variationen.

Für nur ein KVK ist dieses Telefonat immer wieder abzuhören - der totale Abräumer!

Mitten drin und laut hupend, in schnittigen E-Rollstühlen, stehen Angelina und Elvira. Wer hätte gedacht, daß es auf dem Weg zur Pathologie ein solches Verkehrschaos gibt? Noch ahnen sie nicht, daß die Hundsfellies inzwischen abgetreten sind, dafür aber Marylin zwischen Seziertischen, Knochensägen, Plastikwannen, den typischen Düften einer Pathologie, sowie Gläsern und Flaschen umhergeistert.


Rocky aber verdient jetzt endlich einmal Geld! Er markiert das Net, wo immer er hinkommt, mit diesem blöden Spruch. Was natürlich den Vorteil hat, daß er so feststellen kann, wo er schon einmal war, da bisher offensichtlich niemand daran gedacht hat, Wegweiser hier aufzustellen.

Na ja, wo auch immer er gerade sein mag, zumindest hat er jetzt einen Gang mit ein mehr geöffneten Türen ausfindig gemacht.

Rocky strafft seinen Bademantel, glättet Gurte und Holster, und tritt kraftvoll in die nächstgelegene Tür ein.

Prompt blickt er einem Verwaltungsgeier ins Gesicht, die wiederum ihm und beide Rocky , noch im gestreckten Lauf, findet zumindest eines sehr tröstlich.

Noch mitten im Lauf findet Rocky eines zumindest sehr tröstlich. Es ist offensichtlich nicht nur alles, was die Verwaltung verflucht, in der Hölle zu finden, sondern auch jenes, was die Patientinnen schon immer dort vermutet haben.

Hechelnd bremst er mit quietschenden Sohlen vor der nächsten Öffnung.

Vorsichtig jetzt, ganz vorsichtig, lugt er um die Ecke.

Aber, heh, das ist ja ... Na endlich!

Endlich angekommen!

Rocky zittert fast vor Freude, überprüft und zupft erneut seinen Bademantel zurecht, dann schreitet er hinein.

Hinein in ein Hospitalia, dreihundert Jahre bevor er geboren werden wird.


Es ist ein sehr fröhlicher Tag, dieser Tag in Hospitalia, was gleichzeitig der Grund für das totale Verkehrschaos ist, in dem selbst die Tröten der Verwaltungsrollstühle sich nicht mehr so recht durchzusetzen vermögen.

Geld oder Leben sieht beeindruckt ungeheure Renditemöglichkeiten in den "speziellen Handy- und artverwandten Dienstleistungen", die diesen spontanen Feiertag (im Gegensatz zu vorherigen) wirklich erlebnisreich machen.

Brille & Krawatte umschreibt verblüfft "die fast revolutionäre Begeisterung", die auf Hospitalias Gängen herrsche, bei dem Gedanken an ein offensives Leben in Lust, wo jede Frau einen eigenen Mann und Gepäckträger zur Verfügung habe.


In Rocky macht sich inzwischen Unruhe breit. Aha, also wieder daheim. Na fein.

Aber wo sind die anderen Idioten jetzt?

Weg? Abgehauen?

Na toll! Den Weißen haben sie natürlich auch gleich weggeschleppt!

Während er sich noch mit dem anderen Riesenrind abgeben mußte, sich verzweifelt bemüht hat, für alle einen Gang nach oben zu finden, sind die längst ohne ihn Leine gezogen!

Warum auch nicht? Ist ja nur er! Kassieren tut man ja auch am besten allein!

Wozu ausgerechnet mit ihm teilen, der all diese Hornochsen erst zusammengebracht hat?

Magensäure- und Gallenwerte in Rockies Innerem erreichen ungeahnte Höchstwerte.

Adieu, Handyanschluß!

Ciao, du Zimmer mit Bett! Leb' wohl regelmäßige Mahlzeit! Zurück zum Start!

Gehen Sie nicht über LOS, ziehen Sie nicht 4.000 KVKs ein, fangen Sie ganz von vorne an!


Es reicht!

Es reicht!

Es reicht!

Er hat es satt, anderer Leute Depp zu sein!


Die, von diesem Zeitpunkt aus gesehen, erst später entstehende Religionslegende, Weiß würde Tod bedeuten, hatte, dreihundert Jahre vor Rockies ursprünglicher Geburt, noch einen Sinn.

Dieser war, daß die ersten Dauerbewohner Hospitalias wohl gegen Krankenhaus-Keime resistent wurden, aber es nicht mehr waren gegen jene "von draußen", aus der mehr oder minder freien Natur.

Berührung mit den anderen, denen "von oben" (gemeint waren die Leutchen aus den überirdischen Stockwerken) - und die trugen immer blendend weiße Kittel, Söckchen und Schühchen - verliefen zumeist tödlich für beide.

Der eine starb am Krankenhaus-Keim, der andere am Schnupfen. Mit Hautfarbe hatte diese Trennung voneinander nichts zu tun.

Aus diesem überlebenswichtigen Grunde trennte man in einer rigorosen Quarantänemaßnahme die oberen und die unteren Etagen voneinander - in gegenseitiger Panik.

Sicher hätte man diese Sicherheitsschleusen irgendwann auch gern wieder geöffnet.

Doch leider hatte es zwischenzeitlich für die "Oberirdischen" so etwas wie einen "mortus abruptus" gegeben. Ein definitiv einmaliges Erlebnis.

Dieses Ereignis, welches den Kellerhospitalianern in seiner Ursache nie ganz erklärlich wurde (weil es auch keiner so genau wissen wollte), schien zu empfehlen, die Luken auch weiterhin lieber dicht zu lassen.

Die damalige Verwaltung beschloß - im Interesse der Bevölkerung - es am besten ganz zu verschweigen.

Viele Jahre darauf machten werbende Körperdesigner sich und auch der modebewußten zahlenden Bevölkerung ihren eigenen Reim darauf.


Rocky aber läuft Amok!

Er wütet, schnaubt, tritt, trampelt, ranzt sich seinen Weg durch die Gänge frei, wirft Inhalte von Kisten und Kästen handvollweise in Zimmer und Gänge!

Wo Rocky schaurig durch die Gänge brüllt, fliehen Personal wie Patienten scharenweise.

Man erzittert, flüchtet bei seinem Anblick.

Gar zu kranke Patienten, die nicht weglaufen können und Patienten, die nicht mehr krank sind und es auch nicht wieder werden möchten, jubeln ihm schon aus der Ferne, wenn auch eher verunsichert, zu.

Aber so leicht ist Emilio alias Rocky, Begleitservice, Sicherheitsstudio, Detektivbüro usw., usw., jetzt nicht mehr zu stoppen!

So, weglaufen tun sie, wenn sie ihn nur sehen?

Er wirft sich in grüne OP-Kleidung, zieht knallend Gummihandschuhe über und die OP-Maske vors Gesicht.

Er hat noch ein paar Überraschungen auf Lager.

Die sollen büßen! Alle!

Ein Gummischlauch, straff wie eine Gitarrensaite, wird quer über den ersten Gehwagen gespannt.

Spritzen, Kanülen und Eßbesteck pfeifen sirrend durch die Luft.

Der letzte zitternde Trupp kräftiger Krankenpfleger ("Hilfe, ein Verrückter!") flieht in heilloser Panik.

Rocky nimmt keinen Fahrstuhl.

Rocky nimmt die Treppen.

Immer drei Stufen auf einmal.

Von ganz unten, bis nach ganz oben.

Und er kämpft und er wütet.

Die Wohlsituierten wirft er aus ihren bequemen Rollstühlen, verschenkt diese an andere Kranke, die sofort versuchen, die verräterischen Teile wieder loszuwerden.

Und er bedient und er verteilt.

In Rekordzeit steht wirklich schmackhaftes Essen für vierhundert Personen bereit.

Er heilt und er pflegt und er schlägt.

Dutzende von Personen werden mit dem Wissen der Neuzeit blitzartig kuriert, welches in dreihundert Jahren völlig normal sein wird. (Zuweilen aber auch mittels plötzlicher Wunderheilung, die von den schrill jubelnden Betroffenen ganz allein auf seinen heiligen Anblick zurückgeführt wird.)


Am Ende aber, am Ende dieses überaus ereignisreichen Tages ist die Suche nach Stripper, Frederico und Marylin ebenso erfolglos geblieben wie die nach Angelina - und damit die letzte Möglichkeit seine wohl verdienten KVKs doch noch einzukassieren.


Der ZeitenWanderer im Jahre 2048, gibt sich von den aktuellen Tagesnachrichten unbeeindruckt. Stattdessen wirft man eine neuartige Sonderausgabe unters Volk, ein aufwendiges Musik- und Bilderspektakel.

Es handelt von einem kleinen Mädchen mit orangem Haar, welches mit der Spraydose auszieht, um Hospitalia mit Spruchweisheiten und farbigen Bildern zu beglücken und gelegentlich auch zu verschönern.

Der Absatz von Buntstiften steigt seither bemerkenswert.


Elvira, mit ihrem schicken E-Rollstuhl eingekeilt zwischen Essens- und Wäschewagen hupt, ganz entgegen ihrer Gewohnheit, nur noch wenig. Sie möchte, nur so für alle Fälle, die Gespenster nicht noch unnötig auf sich aufmerksam machen.

So kann sie in all dem sie umgebenden Lärm wenigstens noch ihr Handy hören, wo eine Untergebene sie im etwas bemühten Plauderton, so ganz beiläufig fragt, ob ihr die Nachricht "Beer and Tequila forever" etwas sage? Ob sie die verschiedenen Figuren auf dem Schirm schon erblickt hätte? Der eine wäre ja echt sexy, aber die anderen beiden?

Elvira antwortet nicht, da macht die Kollegin, etwas unsicher, einfach weiter.

Ob es sich um einen aktiven Bildschirmschoner handele? Wie gerade die orange-blaue Figur ja nahelege.

Oder vielleicht eher eine neue Form der Motivation am Arbeitsplatz durch Zuckerbrot und Ekel?

Nein, nein, nichts verraten, jetzt hätte sie es! Es handele sich ganz ohne Zweifel, um intelligente Hilfsprogramme, um das Leben am Bildschirm effektiver zu gestalten.

Elviras Antwort ist kurz und heftig, zieht die Intelligenz, Arbeitswilligkeit und -Eignung aller beteiligten Mitarbeiterinnen in Zweifel und endet mit der Feststellung, daß nichts funktioniere, wenn man es nicht selbst tue.

Jetzt sind es schon drei Figuren geworden! Und einer bunt!

"Alle verhaften!", wollte sie brüllen, aber dann wurde ihr klar, daß man weder Gespenster noch Dämonen einsperren, ja noch nicht einmal enthirnen kann.

Wie gern hätte sie in diesem idiotischen Verkehrschaos die Angelina alleine oder wengstens vor ihr gehen lassen.

Aber zum einen war da doch so eine gewisse Befürchtung, daß, wenn sie, Elvira, allein im Büro geblieben wäre, das weiße Frauengespenst dann bei ihr durch die Bürowand geschwebt wäre.

Andererseits möchte sie natürlich auch nicht das Risiko eingehen, daß ihre Kollegin hinter ihrem Rücken eine Vereinbarung mit den Geistern trifft.

Ihr geistiges Auge sieht geradezu Angelina auf Knien liegen, die Hände gefaltet, die Augen mit Krokodilstränen gefüllt. "Schone mein Leben, liebes Gespenst! Nimm lieber die Elvira! Die ist sowieso ein Miststück! Und wenn du möchtest, murkse ich sie für dich ab!" Nicht, daß sie kein Vertrauen hätte, aber ...

"Blackmamanochmal! Geht es denn hier endlich mal weiter?"

Als der Verkehr im Schrittempo weiterrollt, lacht Elvira wieder.

Schließlich steht der Stripper-Typ am Ende dieser Warteschlange. Den kann sie nun wirklich nicht ihrer Kollegin überlassen. Wer weiß, wie die das arme Schwein sonst zurichtet?


Erschöpft von der Mühsal der letzten Stunden, Minuten vor Mitternacht, ist "der echte Kernbeißer" (ZeitenWanderer) und "Megaheld" (Sex & Gewalt, Vorläufer von "Blut und Busen") restlos fertig mit den Nerven.

Wieder war alles umsonst. Nicht einmal eine der Verantwortlichen hat er gefunden, um zum letzten Mal in diesem Leben eine ordentliche Tracht Prügel zu verteilen.

"Man kann sein Schicksal hinauszögern, aber ihm nie entgehen." Ach, wie recht die Verwaltung doch mit diesem simplen Satz hat. Jetzt glaubt auch Rocky es.

Leise pfeift er eine wehmütige Melodie, als ihm selbst dazu die Luft ausgeht.

Er weiß, wann er verloren hat.

Noch einmal strafft er seine Gestalt. Er ist wieder im Einklang mit sich und der Welt und somit bereit!

Bereit sich aufrecht, in den Sandalen, dem nächstbesten Putzwagen zu stellen.

(Die es derzeit, dreihundert Jahre vorher, noch gar nicht gibt. Nur unregelmäßig erscheinende Schlägertrupps, die Herumlungernde aufgabeln, um diese zum Reinigen zu zwingen.)

Als er sich von der Wand abstoßen will, um trotz heftigen Muskelkaters dem Putzwagen laufend entgegenzutreten, stellt er überrascht fest, von einem Pulk junger Damen eingekreist zu sein.

Ein überaus anschmiegsames Mädel blinzelt ihn an. (Noch blaßbraun, das Schönheitsideal möglichst dunkel sein zu wollen, ist zu dieser Zeit noch nicht entwickelt).

Mit leuchtenden Augen und gedehnten Bewegungen rutscht sie an seiner grünen Brust bis zu seinem Kinn hoch.

Warum er denn das alles hier für sie täte?

Seine Antwort zeugt von Bescheidenheit: "Keine Ahnung." Er nimmt das grüne Käppi ab.

Das Mädchen kichert. Wie er heiße.

Rocky, alias Emilio, nimmt die Maske runter und die erste Hälfte seiner inzwischen durchgebrochenen Lucky Lakritz zwischen die Zähne. Auf der gegenüberliegenden Seite beleidigt ein gnadenlos geschmackloser Kalender sein Auge.

Angewidert spuckt er den Stengel aus.

Dann sieht er das Mädel mit den gedehnten Bewegungen an.

Er glotzt zum Kalender.

Ein Schrei! Ein Sprung!

Rockies linkes Knie landet auf der Sitzfläche eines herumstehenden Rollstuhls.

Mit dem anderen Bein strampelnd, stößt er sich ab wie noch nie, rollt lautstark und ungeheuer schnell den Gang hinab!

Nur Sekunden vor Mitternacht rast Rocky davon.

"Komm zurück! Komm zurück zu mir!", kreischt das hinterherwetzende blaßbraune Mädel.

"Wenn es an der Zeit ist!" schreit er philosophisch zurück.

"Wer bist du? Wie heißt du, unbekannter Fremder?", hallt es hinterher.

Seine Antwort und letzten Worte in dieser Epoche rollen als vielstimmiges Echo durch den Gang:

"Nennt mich - Rocky Hood!"

Und genau das werden sie tun.


Über viele Jahrzehnte wird sie leben, die Legende von "Rocky Hood".

Dem Mann, der aus dem Nichts der Tiefe kam, wie Pech und Schwefel stank, und Punkt Mitternacht wieder im Nichts der Tiefe verschwand.

Rocky Hood, der innerhalb eines einzigen Tages die Machtverhältnisse in ganz Hospitalia erschütterte, der den Mächtigen Furcht und den Patienten Mumm einflößte und eindrosch.

Der Amokläufer aus der Tiefe, dem jahrhundertelang niemand mehr nachzusteigen wagen wird.

Solange bis sein Weg in Vergessenheit gerät.

Rocky Hood, der Mann, dem weder kostenloser Sex noch Vielweiberei etwas bedeuteten.


Erst zwei Jahrhunderte später wird eine Sekte, "Die heiligen Kühe Black Mamas", diesen Mythos enttarnen.

Bei Rocky Hood habe es sich nämlich gar nicht um einen Mann gehandelt, wie irrtümlich behauptet werde, sondern um eine Frau!

Denn ein echt männlicher Held wäre über das Frauensvolk nur so hergefallen!

Aber, so die abschließende Feststellung, wann sind die schon einmal da, wenn man sie braucht?


Jim-Bob stiert den Wandschrank an, durch den die Geister zu ihm hineinspaziert kamen und ihn auch wieder verließen.

Warum kann ihm seine Phantasie nicht einmal einen weiblichen Geist zaubern? Einen mit kräftigen Kurven und derbem Verlangen? Die dürfte auch gern seine restlichen Klamotten dematerialisieren. Auch seine Unterhose.

Diese Phantasie bis zur Neige auskostend, entledigt er sich seiner letzten Textilie.

Voll überquellender Sehnsucht umarmt er seinen PC mit Monitor, wo in einer Diaschau unzüchtige Bildchen ablaufen.

Einmal mehr träumt er von Lust, Leidenschaft und Sinnesfreuden, als Rocky ihm auf die Schulter tippt. "Was tust du da, Weißer?"

Jim-Bob, den Monitor zwischen seinen behaarten Schenkeln schlenkernd, kreischt: "Ich will Sex!!!"

Rocky korrigiert ihn müde mit erhobenem Zeigefinger: "Ich möchte bitte Sex."

Jim-Bob, der eilig in eine Ecke rutscht, um sich wenigstens wieder mit dem Notwendigsten zu bekleiden, blubbert Rocky an, er wäre eine blöde ungeile Sau.


Stripper und Frederico wundern sich derzeit reichlich, wo Rocky denn bleiben würde?

Sicher, er sei noch nicht lange weg, aber trotzdem ....

Durch einen Spiegel trauen sie sich aber trotzdem nicht. Wer weiß, was da geschehen könne? Bestimmt haben sie letztesmal bei dem quatschenden Sabber nur Glück gehabt! Wozu also ein Risiko eingehen?

Nein, nein, laß' mal den Rocky-Typen machen.


Wie hätte Stripper auch ahnen können, daß das Unglück bereits auf dem Weg zu ihm ist und nun derb an das metallene Portal der Pathologie hämmert?

Elvira und Angelina begehren lautstark Einlaß.

Marylin macht sofort einen Tauchgang in sauber sortierten Extremitäten.

Schnell ein paar Oberschenkel auf sich legend, verschwindet sie in einem Regal.

Keine Sekunde zu früh, soeben haben Angelina und Elvira schnaubend und schnaufend die Tür geöffnet. Zeternd, daß dieses keiner von innen getan hat und überhaupt, daß auf das Personal immer weniger Verlaß sei und wo diese häßlichen Hundsfellies stecken würden?

Marylin, mit der Nase ganz vorsichtig einen Fuß aus ihrem Gesicht schiebend, hört die beiden Verwaltungsfachkräfte den direktesten Weg zu Stripper suchen.

Da sie, Marylin, bei dem Abwurf des Kameraauges die Luke offen stehen ließ, fällt es den beiden Tussies nicht weiter schwer, den Aufenthaltsort des Pünktchens in ihrer Prototyp-Wette ausfindig zu machen.

Der Augenblick ist gekommen!

Elvira und Angelina werfen eine KVK-Karte, wer hinuntersteigen darf, um Stripper ausfindig zu machen, einzufangen und zu vernaschen.

Die Verliererin muß natürlich oben bleiben.

Elvira gewinnt.


Der Stripper-Typ ist zum Greifen nah!

Die Waffen einer Frau überprüfend (Gummiknüppel mit integriertem Elektroschock, Taschenlampe und Reizgas, sowie ein garantiert beißfestes Vampirgebiß) hangelt sie sich am verbliebenen Feuerwehrschlauch in die Tiefe hinab.

Ihre blonde Haarbürste steht aufrecht.

Angelinas Mundwinkel hingegen sind soweit nach unten gefallen, daß ihr dunkles Gesicht wie eine verschmierte Karikatur aussieht.

Ach, wie gern hätte sie sich vom ersten Mann in Todesangst verwöhnen, verlocken und bedienen lassen.

Wie die Elvira sie wohl diesesmal wieder beschissen hat?

Aber das wird sie diese Kuh noch büßen lassen! Soviel ist sicher!

Schnaufend hebt Angelina ihr Gesicht aus der Kellerluke, ihre teuren Designer-Knie entlastend, als hinter ihr ein Arm zu Boden purzelt.

Die linke Augenbraue hochziehend, blickt sie irritiert auf.

Ein Bein fällt klatschend aus dem Regal.

Angelina wirft sich mit gesträubten Nackenhaaren flach gegen die Wand.

Ein spitzer Schrei entringt sich ihr, als noch weitere Teile in Bewegung geraten.

Mit rasendem Puls sinkt sie in die Knie, als Marylin langsam aus dem Regal kraucht und sich die Kleidung abklopft.

"Hallo", sagt Marylin.

Angelina tropft kalter Schweiß vom Gesicht.

Oh, Black Mama! Die Marylin-Kuh, die letzte Nacht von der Einwohnermeldeliste verschwunden ist! Die, die aus der Pathologie telefoniert!

"Treib' nie Scherz mit dem Entsetzen!", hat sie zu Frederico immer gesagt.

Jetzt glaubt sie es selbst.


"Hey, sie sind doch die Tante, die ihren Sohn sucht?"

Angelina fällt auf die Knie. "Ja!", stößt sie hervor, auf Knien über die kühlen Fliesen rutschend, die Hände gefaltet.

"Frederico heißt er.

Ja, das ist richtig!

Oder falls es nicht richtig war, habe ich das auf jeden Fall nicht gewußt.

Das müssen sie mir einfach glauben!"

Marilyn tritt auf die am Boden kauernde Person zu. Tolle Fingernägel. Muß ich mir auch machen lassen. "Ich habe ihn gefunden", sagt sie.

"Wirklich?", entgegnet Angelina, den Schluckreflex unterdrückend, wobei sie ängstlich an Marylin vorbeischielt.

Haben die ihn schon zerteilt?

Marylin rechnet.

Was ihr der Bengel wohl bringen mag?

Ob das ihre Finanzen nennenswert beeinflußen wird?

Nein. Kaum anzunehmen.

Wer gibt für ein organisches Männchen schon mehr Geld aus als für das Teil mit Batterie? "Zahlen sie bar oder überweisen sie?", sagt sie, um die entstandene Pause zu überbrücken.

"Ich ... ich ... brauche eine Rechnung, wissen sie", stammelt die Angesprochene.

Marylin spuckt in Gedanken. Warum muß immer alles so kompliziert sein?

Statt daß die Kuh dankbar fragt, wo die Pfeife steckt, will sie eine Rechnung!

Na ja, die Typen von der Verwaltung, Papierkram ist ihr Leben.


Angelina, die sich langsam vergewißert hat, es wohl doch mit einem lebendigen Menschen statt einem weiblichen Geist zu tun zu haben, findet langsam wieder zur alten Form zurück.

Ihren breiten Hintern abklopfend, richtet sie sich auf und fragt, wo ihr Sohnematz denn eigentlich stecke?

"Da unten", sagt Marylin, mit dem Zeigefinger auf die Luke weisend.

Angelina brüllt, fällt klatschend auf den Boden zurück, steckt den Kopf in die Luke und kreischt. "Elviraaaaa! Elviraaaaaa!"

Was unten nur als schauerliches Echo ankommt.

Die Betroffene hört es natürlich, denkt aber im Traum nicht daran, sich zu melden.

Der Stripper-Typ gehört ihr!


Wie gewohnt zusammenhanglos, dafür ausführlich salbadert Jim-Bob herum, wie schön es doch wäre ohne alle Schweine dieser Welt.

Völlig überrascht stellt Rocky in ihrer beider Wunschdenken Gemeinsamkeiten fest.

Von hier an beginnt man erstmals ein gemeinsames konstruktives Gespräch, gepaart mit zwei Flaschen Martini und mehreren Tafeln Vollmilch-Traube-Nuß.

Sehr schnell hat man einander ewige Freundschaft, keine Geheimnisse und wirklich originelle Witze geschworen.

Rocky, in Erfüllung dieser Vereinbarung, beginnt mit der Lüftung eines Mysteriums. Lallend erklärt er, daß Spiegel eben keine solche, sondern ganz offensichtlich Pforten zu anderen Welten seien!

Jedenfalls manchmal und er wisse, wovon er rede.

Jim-Bob prustet, köstlich amüsiert. Der war gut! Ja, wirklich!

Rocky hickst etwas von der Ernsthaftigkeit dieser Aussage.

Jim-Bob hält sich den Bauch. Ein Geist mit Humor! Ja, davon hat er schon gehört.

Da Rocky nun aber doch etwas böse wird, macht Jim-Bob einen Versöhnungsversuch, schwafelt etwas von der Magie der Voodoo-Riten und geheimen Buschzauber, der Weißen bis heute unerschlossen geblieben sei.

Aber, trotz allem, er, Rocky, sei doch der glücklichere von ihnen beiden.

Sei er doch ein zufriedener Buschneger, bei dem es wenigstens noch sauberes Wasser und Früchte im Wald geben würde. Im Wald, der irgendwo allen gehören würde. Und ob Rocky ihn nicht mitnehmen könne, er, Jim-Bob, habe von der Zivilisation ("Viva la libertad!") trotz Martini und Schokolade die Schnauze voll.

Ja, ja, ja antwortet Rocky, der die Intelligenz seines Gegenübers neuen Erwägungen unterzieht. Jim-Bob werde jetzt gefälligst mit in das Ding kommen und dann werde er ja schon sehen!

Rülpsend stellt man sich in den mittlerweile fürchterlich unordentlichen Wandschrank.

Rocky steigt durch den Spiegel und Jim-Bob glotzt ihm hinterher. Ein Gesit, der durch Wände geht. Na ja.

Achselzuckend kehrt er zurück an seinen Schreibtisch.

Die Welt wartet auf neue Werke von ihm.


Für Rocky aber haben sich endlich eine Vielzahl der Türen, Tore, Luken und Durchgänge im Net geöffnet, was ihn doch ziemlich überrascht. Er nickt kurz, ein schneller Blick nach links, ein schneller Blick nach rechts, dann schmiert er eilends die Botschaft an die Wand.

Vielleicht ist der Auftrag doch nicht so ungefährlich wie er zu Anfang dachte.

Die Tante wird schon ihren Grund gehabt haben, daß sie die Sache nicht selbst erledigen wollte. Na, da wird wohl noch eine Gefahrenzulage fällig!

Rocky, nun mehr auf der Hut denn je, hat gelernt, die Dinge behutsam anzugehen. Jetzt wird nicht mehr einfach in jedes Zimmer hineingestürmt! Jetzt wird vorsichtig um die Ecke gelugt.

Aha, wieder einmal Verwaltungsgeier. Alle von hinten diesesmal.

Erstaunt stellt Rocky fest, daß die Typen nicht nur in Käfigen existieren, sondern innerhalb dieser auch noch an Fußketten gebunden sind.

Wehmütig sieht er die Berge von Törtchen, Gebäck und Naschwerk, aufgeschichtet um die erstaunlich künstlerisch gestalteten Springbrunnen aus denen ohne Unterlaß dampfende Kaffefontänen sprudeln.

Sich ein Ruck gebend, zieht er weiter, von offener Tür zu offenem Portal, von ungläubigen Gesichtern, die endlos lange Zahlenkolonnen begaffen und aufschreien, wenn er ihnen die Zunge rausstreckt, über bunte Brettchen mit kleinen Steinchen, wo die ihm entgegenglotzenden Gesichter allesamt blitzschnell das Licht löschen.

Dann wieder dieser ovale Doppelmonitor mit Hospitalias Tagesgeschichte. Hat er schon gesehen. Nur einen neuen, auch nicht gerade interessanten Effekt, scheinen sie in diesen Film eingearbeitet zu haben: Hin und wieder schließt sich das Teil von oben nach unten, was dem ganzen den Anschein gibt, als wenn man durch ein fremdes Augenpaar sehen würde.

Was soll's? Rocky hat erst einmal andere Sorgen.

Rocky huscht und hopst amüsiert von einer offenen Tür zur nächsten, die sich jetzt reihenweise, wie von Geisterhand geknackt, in hellen Scharen öffnen.

Aber da - Ha! Diese gefleckte Schnauze würde er unter Tausenden wiedererkennen!

Grinsend stellt er sich in das Zimmer. "Hallo, Puppe!", formuliert er eine Begrüßung.

Die angesprochene Dame - wie alle davor auch - zuckt erst einmal zurück, beherrscht sich aber schnell und setzt ein gequältes Lächeln auf.

Wo kommt dieser Giftzwerg denn jetzt auf einmal her?

Rocky grinst breit, fragt, wie das Geschäft so laufen würde?

Die Chefredakteurin antwortet sehr ausweichend, nicht daß dieses kleine Kamel es ihr am Ende noch übel nimmt, daß sie ihn und die Marylin vom Poster runtergeschmissen hat.

Was versteht denn schon eine Type aus der Verwaltung - egal von welcher - von modernem Marketing?

Rocky ist derzeit so richtig gut gelaunt. "Wissen Sie was?"

"Was denn?" Unsicheres Lächeln auf der Gegenseite, während langsam die ersten Kolleginnen ob dieses scheinbaren Selbstgespräches irritiert zuzusehen beginnen.

"Sie heben jetzt den linken Arm."

"Äh, wie bitte?"

"Linken Arm heben, aber dalli!"

Ihr linker Arm schnellt nach oben.

"Und jetzt den anderen!"

Der rechte Arm rast nach oben.

"Und jetzt im Wechsel! Rauf, runter! Dalli, dalli!"

Sie tut's, und Rocky amüsiert sich königlich, während in der übrigen Redaktion des ZeitenWanderers offene Entgeisterung herrscht.

Als Frau Chefredakteurin im schnellen Wechsel auch noch die Knie bis ans Kinn hochzieht, hat Rocky vorerst genug gelacht.

Er zieht weiter seiner Wege, während die Dame mit dem gefleckten Gesicht nach einer Erklärung sucht: "Was gafft ihr mich denn so an? Entspannung im Büro! Wer schön sein will, muß leiden!" Black Mama sei Dank, der Trottel ist vom Schirm verschwunden.

Prustend läßt sie die Arme sinken.

"Okay, ich brauche SOFORT eine Marktanalyse über Bewegungs- und Gesundheitsprogramme am Bildschirm!"


Als Jim-Bob den Spiegel doch noch ausprobiert, ist schon etwas Zeit vergangen. Nun im Net laufend, auf der Suche nach dem dunklen Geist, der immer so witzig ist, gerät er an eine offene Tür.

Da dort drinnen auch alles dunkel ist, folgert Jim-Bob messerscharf, daß er, der Geist, der sich Rocky nennt, sich nur hier verborgen halten kann.

Bestätigt wird diese Annahme, als er zwei Schritte hinein gemacht hat und ihn geradezu betäubender Geruch umfängt.

Alles klar! Von hier und nirgends anders muß die Rocky-Type kommen!

Jim-Bob läßt sich auf alle Viere nieder, grabbelt herum, hinterläßt überall Schokoladefinger und versucht den Witz zu verstehen, der jetzt sicher gleich kommen wird. Jim-Bob macht ein paar heitere Kommentare, aber niemand antwortet ihm.

Jedenfalls nicht akustisch.

Zwischen den Shittaniern ist eine heftige Diskussiuon ausgebrochen, ob man den Eindringling vorhin vielleicht mißverstanden habe? Immerhin, es seien Ausländer, man müsse ihnen also manches nachsehen. Und man solle doch anerkennend zur Kenntnis nehmen, daß das derzeitige Verhalten (Jim-Bobs Martini-Dünste) schon ganz erheblich weniger rüde dufte.

Wiewohl nach wie vor mißtrauisch läßt Captain Shit eine knappe, steif höfliche Geruchsbegrüßung los.

Wie als Antwort darauf muß Jim-Bob aus tiefstem Inneren befreiend aufstoßen.

Martini und Schokolade war wohl doch nicht die richtige Mischung.

Saure Wellen füllen die Luft.

Pfeifend entfahren Captain Shit deutliche Grobheiten gegen seine toleranten Mitarbeiter. Kurzen Prozeß müsse man mit solchen Pöblern machen!

Als Jim-Bob mit scharfem Blick die Dunkelheit zu durchdringen versucht, schlägt ihm Geruchsbelästigung der besonderen Art entgegen.

Captain Shit ist soeben an einem kleinen Schokoladeklumpen hängengeblieben.


Obwohl Angelina die sie umgebende Umgebung frösteln macht, findet sie noch genug Zeit, Marylin zur Schnecke zu machen, wieso ihr Sohn nicht längst geborgen und verschnürt wieder heim zu Muttern gebracht worden wäre!

Marylin stammelt, daß das nur die Schuld ihrer depperten Gehilfen wäre. Gutes Personal sei heutzutage schwer zu finden und eigentlich hätten die längst wieder da sein müssen, aber es seien eben nur Männer, was wohl alles sage, aber ....

Angelina unterbricht sie forsch, um sich näher nach eben diesen Gehilfen zu erkundigen.

Marylin gibt bereitwillig Auskunft und außerdem habe sie von hier oben immer alles im Griff, da sie schließlich professionelles Werkzeug verwende, wovon ihre doofen Gehilfen natürlich nichts wüßten.

Sie verweist auf die Endoskopkamera, dreht den Ton etwas lauter und demonstriert, daß so ein Ding praktischerweise auch im Dunklen sehen könne, weil es üblicherweise für den menschlichen Enddarm gedacht sei, welcher bekanntermaßen von innen nicht beleuchtet wäre.

Angelina bedankt sich angewidert für diese ausführliche Erläuterung und möchte jetzt erst einmal sehen, was da unten so vor sich geht.


Man hört und sieht Elvira leise durch einen pechfinsteren Gang streichen. Plötzlich ein Geräusch!

Frederico ist über eines der Papierbündel gestolpert und hat eine Bauchlandung gemacht.

Elvira, die nur Strippers hier vorzufinden erwartet, ist allerhöchst amüsiert. Auf dem Monitor sieht man infrarot ihre spitzen Zähne blitzen und die Zunge darüberlecken. "Stripper, Süßer?" ruft sie laut. "Warum heißt du mich nicht willkommen? Ich habe dich lange gesucht." Keine Antwort.

Elvira streicht sanft über ihren Gummiknüppel.

"Hör mir jetzt gut zu, mein Engelchen. Ich wiederhole mich nämlich sehr ungern!"

Elvira quietscht wonnevoll.

"Du süßes Miststück wirst jetzt ganz genau meinen Befehlen folgen."

Totenstille.

"Es hängt von deiner Kooperation ab, ob du hier jemals wieder rauskommst. Mit drei Beinen meine ich!" Elvira gluckst wird dann aber sofort wieder scharf im Ton.

"Du hast gedacht, hier wärest du vor mir sicher, was??"

Keine Antwort.

Sie erklärt in knappen Worten, daß dieses hier eine sehr hübsche Etage sei, mit sehr vielen, sehr interessanten Zimmern. Sie würde diese gerne kennenlernen. Er, Stripper, werde ihr diese und noch viel mehr präsentieren. Eines nach dem anderen.

Um nun seine Vernunft und Demut gleichermaßen zu beweisen, dürfe er ihr in jedem Zimmer ein kleines Präsent hinterlassen.

Seinen Tanga-Slip gleich zuerst, um Mißverständnisse von Anfang an zu vermeiden.

Auf der Schwelle zum Badezimmer soll er das Ding hinterlegen, dann verschwinden und auf weitere Anweisungen warten.

Er habe eine Minute Zeit, danach würde sie sich gezwungen sehen, die Sicherungen reinzudrehen und dann ... Sie macht ein vielsagendes Schnapp-, Schmatz-, und Knurrgeräusch.


Marylin und Angelina jubeln begeistert vor dem Endoskopschirm.

Was die edle Dame denn mit dem Stripper vorhabe, wenn er nicht gehorche, fragt Marylin.

Salami, gibt Angelina zurück, eine Lucky Lakritz im Mundwinkel.

Ja, und wenn er kooperiere? Was dann?

Gulasch, scharf gewürzt. Nichts für Magenkranke.

Marylin schluckt. Wenn die ihre ganze Halbfertigware, Basis ihres zukünftigen Reichtums, wegfressen, was dann? Was wird dann aus ihr?

Ganz, ganz vorsichtig drückt sie auf dem Hundsfellie-Handy die Wahlwiederholungstaste für die Redaktion von Blut & Busen.

Black Mama nochmal, hoffentlich wird dieser sehr spezielle Dialog zwischen Stripper und der Verwaltungstussi wenigstens annähernd so gut gehört wie das Telefonat mit dem komischen Weißen.

Dann würde sie ja doch noch zur Privatpatientin aufsteigen.

(Leider hatte Marylin bisher noch keine Gelegenheit, ihren aktuellen Kontostand zu überblicken, sonst wüßte sie, wie weit ab sie diesem Ziel noch ist, angesichts ihrer Gläubiger und deren Vorstellungen von Zins und Zinseszins.)


Rocky aber hat inzwischen das Gute für sich wiederentdeckt.

Die Pforte, die nach Hospitalia zurückführt!

Diesesmal würde er, Rocky, in Hospitalias Vergangenheit bleiben, basta!

Hier ist er doch wer!

Hier ist er Rocky Hood!

Der Held, der Kranke heilen kann!

Die Arme weit offen, biegt er in bester Laune um die Ecke, als ihn die Fremdenführerin, eine hünenhafte Hundsfellin, kraftvoll in eine Menschentraube wirft. "Beisammen bleiben, habe ich gesagt!"


Rocky, derart heftig aus den schönsten Träumen gerissen, versucht sich ebenso hastig wie mühsam zwischen den zappelnden Leibern wieder aufzurichten.

Die anderen tun ähnliches und die Hundsfellin bedankt sich für das Interesse der Gruppe, verweist auf die weiteren Führungen und die ermäßigten Eintrittspreise, Kinder und Männer die Hälfte.

Dann ein Wink Richtung Ausgang und das Vieh hält, mit der Bitte um eine kleine Spende, einen geradezu unverschämt voluminösen Hut hin.

Je nach Höhe derselben gibt die Hundedame dann den Weg durch die Tür frei.

Rocky bleibt leider nichts anderes übrig, als als letzter bäuchlings zwischen ihren Beinen hindurchzurobben.

Einmal draußen, muß er feststellen, daß er sich in Hospitalia im Jahre der Dame 2079 befindet.

Einunddreißig Jahre, nachdem er es ursprünglich verließ.

Laut fragt er sich, was wohl aus Stripper und Frederico geworden sein mag?


Hätte er die ganze Führung mitgemacht, hätte er die drei Mumien, eine im Sessel, zwei auf aufgehäuften grünen Papierstapeln sehen können. Zusammen mit einer Gedenktafel, die den einst in Kellerverbannung geschickten Bill herabsetzt, sowie die Hobby-Archäologen Stripper, Frederico und den verschollenen Emilio ehrt. Entdeckt worden seien sie übrigens durch die angesehene Schauspielerin Marilyn, gesponsort von Blut & Busen.

Eine Information, die Rocky noch später beim Lesen eines Veranstaltungskalenders mitbekommen wird - woraufhin er Konsequenzen zieht.

Was ihm auch nur gelingen wird, weil er ein altmodischer Mensch ist.

Denn all die anderen, all die modernen, hübschen Wesen (derzeit ist gerade der Asia-Look modern), die haben alle einen kleinen Kasten an der Hüfte, welcher Blutdruck, Puls-, Magen-, Leber- und Gallewerte prüft und über ein ausgeklügeltes System den körpereigenen Haushalt blitzschnell wieder in Ordnung bringt, wann immer dieses notwendig erscheint.

Patientinnen, die über solcherart verfügen, sind immer glücklich, immer gesund, immer fröhlich, immer jung, nie aufgeregt, nie wütend und teilen die Meinung der Verwaltung.


Aber was soll's?

Rocky macht sich keinen Kummer. Die Zeiten können höchstens besser geworden sein!

Voller Freude macht er sich auf die Suche nach einer Zeitung, die bereit ist, seine Geschichte zu bringen und ihm ein paar KVKs vorzuschießen.

Dann würde er eine eigene Mega-Extra-Ausgabe bringen!

Er sieht bereits sein Gesicht von Plakaten herablächeln: "Rocky - Sein Leben - Seine Abenteuer - eine wahre Begebenheit".

Im ZeitenWanderer dieser Tage, der inzwischen einen ganzen Flur belegt und neunundvierzig mehr oder minder eifrige Damen beschäftigt, hört man sich auch geduldig seine Geschichte an; wofür er, aus nicht weiter erklärten Sicherheitsgründen, in einem einseitig belüfteten Glaskasten sitzen muß.

Die Redakteurinnen blicken während seiner ausführlichen Erklärungen alle sehr geschäftig auf ihn in seinem Glaskasten herab und stellen ihn langsam aber sicher mit Papierkram und Büromaterialien dicht.

Als er endlich fertig ist, entscheidet eine Dame mit glänzenden Mandelaugen, ebenholzschwarzen langen Haaren und dezent geschwungenen Lippen, daß man jemandem, der so witzig ist, eine Chance geben solle.

Fortan darf Rocky die Leserbriefe sortieren und abtippen, dafür gibt es dann eine Mahlzeit der Güteklasse C am Tag und zwei Glas Wasser.

Wenn er sich bewährt, darf er gleichzeitig auch noch weitere Tätigkeiten eines Büroboten übernehmen.

Rocky bedankt sich höflich.

Aber er ist auch klüger geworden.

Niemals wieder wird er jedermanns Depp sein.

So sortiert er geduldig Tag um Tag, Woche um Woche Leserbriefe. Nur um nach einiger Zeit langsam aber sicher auch eigene hinzuzufügen.

Auf diese Art und Weise gelingt es ihm, die etwas abstruse Legende vom Klo zu plazieren, die gleichermaßen Damen- und Herrentoilette sei.

Erst wenn diese aufgefunden und als solche erkannt worden sei, erst dann werde ein ganz neues Zeitalter in Hospitalia einkehren - dank einem männlichen Helden und seinen unterwürfigen Vasallen, die dessen unaufhaltsamen Siegeszug freundlicherweise begleiten.

Was ursprünglich als schräger Humor für so manchen Lacher sorgte, wird durch die permanente Wiederholung - etwa als unerklärlicher Einschub in eigentlich trocken-seriösen Artikeln - langsam aber sicher zum Gerücht.

Von wo aus es bekanntlich nur noch ein kleiner Schritt ist, zu so etwas wie elitärem, nicht unbedingt jederfrau einleuchtenden Geheimwissen.

Ein Thema, so prickelnd-mystisch, daß es bald auch von echten Persönlichkeiten weitergesponnen wird.

Eine davon ist die Star-Autorin Emilia zu Hohenweiden.

Rocky, inzwischen mit dem neu geschaffenen Titel "Büro-Boy" ausgestattet, kann dieser Aufmerksamkeit leider nicht allzuviel Positives abgewinnen.

Die Fantasy-Kurzgeschichten der Frau Emilia zu Hohenweiden erinnern ihn nämlich fatal an die eigenen Erlebnisse - von gewissen Abweichungen abgesehen.

So kritisiert er konkret und dieses auch recht ungestüm, daß die Heldentaten der Romanheldin "Rocker-Braut" die Grenzen physischer und physikalischer Gesetze überschreiten würden.

Außerdem seien die beschriebenen Heldentaten bei weitem nicht derartig simpel zu lösen. Nie würde die Heldin schlafen, Toilettenbedürfnisse haben und auch sonst eher einer unnatürlichen Maschine als einer Frau gleichen.

Rockies großzügiges Angebot gegen diesen Mist doch lieber seinen eigenen klassisch gehaltenen Roman zu begutachten, bleibt leider unbeachtet.

Doch zur aufrichtigen Überraschung aller beantwortet Emilia zur Hohenweiden die Kritik des Büro-Boys: Es seien doch alles nur Produkte der Phantasie, was der kritisierende Blödian also eigentlich wolle?

Nun aber hat Rocky Blut geleckt ... und debattiert auf den Leserbriefseiten heiß und hitzig mit der Star-Autorin.

So heiß und hitzig, daß der ZeitenWanderer eine geraffte Sonderausgabe "Wissenschaft und Fiktion im Autorinnen-/Leserinnengespräch" herausbringen wird, die sich so gut abverkaufen läßt, daß auch andere Medien auf die beiden aufmerksam werden.

So kommt es, daß eine aufstrebende junge Reporterin die Idee hat, den Höhepunkt einer literarischen Fernsehsendung mit Rocky und Emilia zur Hohenweiden beim Handschlag zu gestalten.

Eine Gelegenheit, die Rocky sehr zu schätzen weiß, darf er doch damit erstmals die Räume des modernen ZeitenWanderers verlassen.

Abgesehen davon fiebert er natürlich sehnsüchtig der Antwort auf die Frage entgegen, wie diese Tussi wohl aussehe?

Vielleicht diese kleine anhängliche von vorhin, als er noch dreihundert Jahre zurück war?

Oder ob jemand ganz anderes seine Erlebnisse mit einer gewissen dichterischen Freiheit niedergeschrieben hat? Dann wäre er, Rocky, ja eine richtige Legende!

In jedem Falle - eine Überraschung wird es werden! Und dann können die sich ihren "Büro-Boy" in die Haare schmieren! Höchste Zeit, daß er in diesem Laden mal wieder richtig aufräumt! Wäre ja nicht das erste Mal!

Rocky streckt seine einssiebzig und entspannt sich glückselig.

Da kommt ihm der Geisteblitz für einen neuen irren Artikel, den er wie gewohnt in die elektronische Post unterschieben wird.

Jammerschade nur, daß er immer andere Autorinnen als Urheber benennen muß.

Noch trauriger ist natürlich, daß die dafür die KVKs einkassieren.

Aber richtig ätzend ist, daß sich noch nie jemand wegen der Überzahlung beschwert hat.


Jörg Feierabend