"Die Sonne scheint auch für Nutztiere"

Christel Lender


Während der Demonstration in Eschlkam gegen die geplanten Hühnerbatterien am bayerisch-tschechischen Grenzübergang entdeckte ich an einem Stand einen Aufkleber mit dem Spruch: Die Sonne scheint auch für Nutztiere. Es trifft mein Anliegen in der Tierschutzarbeit mit schmerzlicher Deutlichkeit.

Es ist einfach nicht nachvollziehbar, was Menschen dazu veranlasst, ihre Schützlinge, die Nutztiere, die sich gern bewegen, einen ausgeprägten Herdentrieb und Familiensinn an den Tag legen, lebenslänglich zusammenzupferchen, einzusperren, an Ort und Stelle zu fixieren oder in Einzelhaft zu halten. Damit werden aktive, neugierige Lebewesen einer stumpfsinnig machenden Langeweilefolter ausgesetzt und den bedauernswerten Geschöpfen lediglich ein Bruchteil ihrer normalen Gewohnheiten zugestanden. Krankheiten mangels natürlicher Abwehrkräfte sind an der Tagesordnung. Und wen interessieren schon die schweren Verhaltensstörungen eines Nutztieres, das sowieso irgendwann auf dem Teller landet?

Ist es die Angst vor dem drohenden Existenzverlust, die erpressbar macht und die Überproduktion von Milch und Fleisch im mensch- und tierverachtenden Konkurrenzkampf anheizt? Mangelnde Flexibilität, sich auf neue berufliche Möglichkeiten einzulassen oder die Macht der Gewohnheit? Warum werden Tiere derartig versklavt, ohne Gespür für ihre dem Menschen vergleichbare Leidensfähigkeit?

Immer wieder heißt es: Das ist so vorgeschrieben, alles ist sauber und ordentlich, das Futter ist hochwertig, sie haben Namen usw. Die Argumentation verschleiert das Recht der Tiere auf artgerechte Haltung, wie es das Tierschutzgesetz vorschreibt. Somit ist das vermeintlich Ordentliche in Wirklichkeit das eigentlich Unordentliche in unserer Gesellschaft geworden. Alle Gütesiegel und Ohrmarken dieser Welt können an dieser Tatsache nicht vorbeischummeln.

Grundmerkmal eines jeden Lebewesens ist sein Drang nach Fortbewegung, ein ganz normaler Trieb zur Selbsterhaltung. Jeder von uns hat (nicht nur im Traum) schon einmal die Qual erlebt, nicht mehr wegzukönnen, sei es durch Stau, Krankheit, Gewalt, drangvolle Enge oder einen technischen Defekt! Wieviel Selbstbeherrschung (und Medikamente!) hat es uns gekostet, dabei Panik, Lärm, Gestank, Hitze und Aggressionen heil zu überstehen. Gibt es einen einzigen Grund, warum Tiere das aushalten sollen, was wir für uns ablehnen?

Nach der Sintflut sagte Gott zu Noah in der Arche: "Nimm mit dir all die verschiedenen Arten Tiere hinaus, die bei dir sind: Vögel, Vieh und alles Gewürm, das auf der Erde kriecht, damit sie sich auf der Erde frei bewegen und fruchtbar sind und sich mehren auf Erden !" (Genesis 8,17-21) Da scheint offensichtlich sogar bei eingefleischten Bibelspezialisten einiges in Vergessenheit geraten zu sein!

Warum dulden wir schweigend, dass Tiere übereinandergestapelt, abgestellt, angebrüllt, geknüppelt und getreten (Doch, auch bei uns!) werden? Sind uns die Wurst, der Käse und die Fruchtzwerge so unentbehrlich geworden, dass wir lieber weghören und wegschauen, um uns den Appetit nicht zu verderben?

Sensible Zeitgenossen schreien entsetzt auf, wenn sie unerwartet im Fernsehen mit Folterszenen aus den gängigen Tierskandalen konfrontiert werden: "Da kann ich einfach nicht hinschauen, das tut mir zu leid. Ich kann dann nicht mehr schlafen. Mir wird ganz schlecht davon. Man kann eh nichts machen..." Spätestens beim Duft von knackigen Currywürsten wird wieder kräftig zugelangt. Doch die werden auch künftig nicht auf Bäumen wachsen.

Die Gesellschaft spielt mit. "Ist ja nur Vieh!", so der Tenor eines Bauern auf dem Kälbermarkt. Nein, es waren durstige, herumgestoßene, verschwitzte und verängstigte Tierkinder (das Jüngste gerade mal 10 Tage alt), hilflos ausgeliefert einer gnadenlosen Welt, in der es nur noch ums Geld und ums Essen geht! "Kühe sind ja bekanntlich dumm", so der dümmliche Ausspruch eines ansonsten hochintelligenten Moderators von "hallo Deutschland" (ZDF), der zu einer vermeintlich "witzigen" Tierreportage ansetzte. All diese Beispiele tragen dazu bei, dass die Produktionsmaschinerie "Tier" nicht ins Stocken gerät.

Da war doch noch was? Ach ja, die Kirche!? Hier existiert chronischer Personalmangel, wenn es darum geht, sich für Tiere einzusetzen, lebt man doch lieber frei nach dem Motto: Mit vollem Munde spricht man nicht. Man pflegt die exzellente Küche, nicht nur an hohen Festtagen und bei kulturellen Veranstaltungen, und genießt - abgesehen vom Ansehen in der eingeschworenen Gemeinde - ausgiebig die fleischigen Schmankerl. Christliche Tradition lässt sich am besten beim Kauen pflegen: Ein Kind ward uns geboren! Haut rein! Oh, du Lamm Gottes, erbarme dich unserer Fresslust!

Wer die Tränen der Tiere leugnet, verleugnet das Leben! Es reicht nicht mehr, für Katze und Hund zu spenden und sich ein Häschen aus dem Tierheim zu holen: Sperrt endlich eure Augen, Ohren - und Herzen auf! Schickt die zweibeinigen Sünder in die Wüste, melkt die halbherzigen politischen Dünnbrettbohrer in Sachen Tierschutz und ihre Bossgenossen, lasst die Rabeneltern mit euren üblen Vergleichen in Ruhe und, bitte, bitte, die armen Dreckschweine so reinlich sein, wie sie es von Natur aus gern wären!

Als mein Mann und ich Anfang September von einem Wochenende aus der Eifel zurückkehrten, kam uns die niederbayerische Landschaft vor wie tot, eine leere malerische Kulisse, die vom Scheinwerferlicht der späten Nachmittagssonne melancholisch-golden ausgeleuchtet wurde. Jemand fehlte: die friedlich grasenden "Schauspieler".