Nintendo und der "3D-Game Boy"
(oder die Geschichte des Virtual Boy)

Tomaes/TAP


Prolog

Es ist kein Geheimnis, daß maximal die Hälfte der weltweit hergestellten Hard- und Software seinen Weg in deutschsprachige Gefilde führt (man könnte darüber einen eigenen Artikel schreiben, warum das so ist; naja, vielleicht näxtes Mal ;)). Und so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn z.B. in Japan (oder in den USA) Hardware in den Läden stand (und steht), die nirgendwo in Europa zu haben ist. Die folgende Story handelt von einer solchen Hardware-Koriosität, die außerhalb der genannten Staaten kaum jemand zu Gesicht bekommen hat..


Es war einmal..

1994: Die Markteinführung der "Next Generation"-Konsolen (PSX, Saturn) stand (in Japan, dem Mutterland der Elektronik-Spielzeuge) kurz bevor. Sony, die einst einen Deal mit "Big N" hatten (ursprünglich wollte man gemeinsam einen Nachfolger für das betagte SNES entwickeln), wollte als Debütant im Konsolen-Geschäft alle übrigen Hersteller kräftig den Marsch blasen und einen großen Marktanteil erobern. Es war abzusehen, daß ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein würde. Nintendo, mit einem Marktanteil von ca. 80% (!), hatte einiges zu verlieren. Seit einer Bekanntmachung im April '94 sorgten Nintendos Zukunftspläne immer wieder für Spekulationen. Von angeblich "neuen Technologien", mit denen man "ein neues Feld der Unterhaltung" erschließen wollte, war da die Rede. Fest stand nur, daß an zwei Projekten gearbeitet wurde. Das eine Projekt mit dem Namen "Ultra 64" (später in "Nintendo 64" umgetauft) und ein weiteres mit der Bezeichnung "VR32". Man sprach von einem tragbaren, batteriebetriebenen Gerät. Die Darstellung sollte auf Basis einer "neuen Projektionstechnologie" (mittels eine Displaybrille) erfolgen. Die Identität der amerikanischen Firma, die diese neuartige Technologie entwickelt haben soll, blieb zunächst geheim. Im November '94, auf der "Shoshinkai Show" (einer japanischen Nintendo-Händler-Messe), sollte dann endlich der Schleier gelüftet werden und das lang gehegte Geheimprojekt der breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Doch die überhöhten Erwartungen, die durch euphorische Statements seitens des Herstellers geweckt worden waren, wurden bitter enttäuscht. Die gezeigte Software (u.a. "Mario Brothers VB") befand sich noch in einer frühen Entwicklungsphase und konnte weder Publikum noch Presse vom Hocker reißen. Aber es lag wohl weniger an der Software, die ja immerhin schon mal den (durchaus beeindruckenden) 3D-Effekt demonstrieren konnte. Nein, es lag vielmehr am "Virtual Boy" selbst. Über ein halbes Kilo wog die knallrote Projektionseinheit. Der Spieler mußte nun sein Gesicht "in das Gehäuse drücken", das auf einem Dreifuß vor ihm auf den Tisch stand. Hatte man diese Verrenkung bewältigt, sah man durch zwei brillenähnliche Gläser, hinter denen ein LCD-Display ein dreidimensionales Bild erzeugte (Spiegelprojektion). Doch anstatt einer prächtigen Farbvielfalt gab es nur Rot-Schwarz-Grafik (sic(k)!). In den Händen hielt der Spieler ein (nicht gerade ergonomisches) Joypad, das mit länglichen Griffen versehen war. Zur eigentlichen Steuerung dienten zwei Steuerkreuze und zwei Aktionstasten, mit denen man die Bewegung im dreidimensionalen Raum steuern konnte. Wie bei alle Nintendo-Konsolen kam die Software aus Modulen, die nur etwas größer als die bekannten "Game Boy"-Cartridges waren. Angetrieben wurde das Ganze durch eine 32bit-RISC-CPU. Für ca. 300 DM wollte man das Teil ab April '95 an den (japanischen und amerikanischen) Kunden bringen. Auf der "Winter CES" (einer Computer- und Videospielemesse) wurde Anfang 1995 erneut versucht, der Fachpresse und den Zockern die neuartige Hardware schmackhaft zu machen. Inzwischen hatte man sich mächtig ins Zeug gelegt und heftig an der Software gebastelt. Der 3D-Effekt kam nun deutlich mehr zu tragen, die Spiele machten einen wesentlich besseren Eindruck als noch einige Monate zuvor. Ein imposantes Formel-1-Rennspiel, ein Flipper ("Space Pinball") mit fünf Tischen, eine stark verbesserte Version von "Mario Bros." und einiges mehr ließen die Möglichkeiten des VB aufblitzen. Ab 1996 sollte der VB auch in Deutschland zu haben sein.

In einer alten Playtime-Ausgabe (4/95) entdeckte ich ein Interview mit Gunpei Yokoi, dem Erfinder des Game Boy (und einer der Architeckten des VB). Hier einige Ausschnitte..




PT: Ist der Virtual Boy Nintendos nächster Game Boy ?

Yokoi: Ja, gewissermaßen. Aber wir erwarten mehr, daß der Game Boy und der Virtual Boy nebeneinander existieren, als daß der Virtual Boy dem Game Boy ein Ersatz werden wird. (..)

PT: Haben Sie sich viele andere Technologien angesehen, bevor Sie sich für ein LCD-Display entschieden?

Yokoi: Unsere erste Entscheidung war, eine Virtual Reality-Technik einzusetzen. Dann machten wir uns Gedanken über viele Konzepte für das Display - natürlich auch über LCD-Geräte.

PT: Ein Teil der frühen VB-Software sieht eindeutig wie 2-D aus. Nutzt sie überhaupt die Fähigkeiten des 32-Bit-Prozessors voll aus?

Yokoi: Die Maschine läuft mit zwei Displays gleichzeitig, auf denen zwei unterschiedliche Bilder dargestellt werden, die man miteinander synchronisieren muß. Das ist der Grund, warum wir eine derart leistungsfähige CPU brauchen - sie arbeitet doppelt soviel wie in einer konventionellen Videospiel-Konsole. (..)

PT: Macht sich Nintendo Sorgen über die potentielle physische Gefahren, die echte VR bei der Verwendung von Headsets mit sich bringt? Sollte der VB ursprünglich nicht auch ein VR-Helm werden?

Yokoi: Nein, wir waren der Ansicht, daß ein Helm nicht notwendig sei, um ein VR-System zu entwickeln, das nicht von Motion Tracking Gebrauch macht. Wir sind besorgt über die möglichen Gefahren der HMD-Technologie, aber wir haben uns auch Gedanken darüber gemacht, daß jemand, der einen VR-Helm benutzen will, nachdem ihn eine geschminkte Frau auf hatte, vielleicht eine gewisse Abscheu empfinden würde. Also haben wir das Design so abgewandelt, daß man lediglich in den Display-Apparat hineinschauen muß, um die 3D-Erfahrung genießen zu können. Die Grundausstattung wurde auf der Shoshinkai gezeigt, aber wir haben Pläne für einen Adapter, mit dem man das Display auf den Schultern tragen kann. Somit braucht man zur Verwendung des Systems keinen Tisch mehr.

PT: Welche Kapazität werden die Module für den VB haben?

Yokoi: Acht Megabit wird anfangs der Standart für die meisten Spiele sein, obwohl 16 Megabit und 24 Megabit-Titel machbar sind und höchstwahrscheinlich später erscheinen werden. (..)


Soweit das Interview.

Tatsächlich stellte man die Produktion 1996 (also nach nur einem Jahr) ein, in Deutschland wurde der VB nie eingeführt. Nintendo hatte sich einen kapitalen Flop geleistet. Während dessen zogen Sony und andere Hersteller an Nintendo vorbei.

Nintendo hatte die Entwicklung eines "Game Boy" mit Farbdisplay lange verneint (mit der Begründung, daß ein solches Display zu viel Strom verbrauchen würde, und schließlich war der geringe Stromverbrauch eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des GB). Erst im vergangenen Jahr brachten sie dann doch noch den "Game Boy Color" heraus. Gerüchte besagen, daß man inzwischen an einem neuen GB mit 32-bit Prozessor werkelt. Ob man da etwa die alten VB-Chips recycled ?-)

Es scheint schwer vorstellbar (sogar technisch unmöglich; die Wirkung der 3-D-Projektion auf einem 2-D-Monitor nachzubilden, dürfte kaum machbar sein), daß jemand einen Emulator für eine Hardware programmiert, die nur sehr wenige je gesehen (geschweige denn gekauft) haben und für die es höchstens ein Dutzend Programme gibt. Dennoch haben es anscheinend einige versucht (habe aber noch keinen Emulator getestet).

Für diejenigen unter euch, die mehr erfahren wollen, noch einige Links: Hier noch einige Links zum Thema Virtual Boy:


http://dana.ucc.nau.edu/~dbt/VBMain.html
http://home.ins.de/~martin.gansel/vboy/
http://www.saldab.se/gw/virtboy.html


Tomaes "der Meister der Klammerbemerkung(en) ;)" /TAP